Es gibt einen Grundsatz beim Ankündigen von Veranstaltungen in Texten: Nimm für den Einstieg niemals das Wetter als Aufhänger. Denn das ist nicht nur reichlich unkreativ, es birgt auch die Gefahr, dass man etwa den regnerischen Herbst beklagt, und die Lesenden blendet dann doch die Spätsommersonne in den Augen. Dennoch kommen die ersten Zeilen dieses Newsletters nicht ohne die Erkenntnis aus, dass Innenräume bald wieder wichtiger werden in unserem Leben. Denn dieser Überblick über das Gängeviertel im Frühherbst handelt vom Einkehren. Vom Lesen. Vom Ausbauen. Von Intimität. Von freien Räumen und Freiräumen.
An verschiedenen Orten des Gängeviertels ist ab dem 30. September das Comicfestival Hamburg zu Gast – angefangen mit der Eröffnung im mom art space mit einem Grußwort von Jana Schiedek, Staatsrätin der Hamburger Behörde für Kultur und Medien; sie wird umgeben sein von den Bildern der Künstlerin Catherine Meurisse. Bis zum 2. Oktober erwarten euch zwei Ausstellungen in der Galerie Raum linksrechts – „Rude Girl“ von Birgit Weyhe und „Madame Choi und die Monster“ (Foto) von Sheree Domingo und Patrick Spät. Die Klasse Feuchtenberger der HAW Hamburg zeigen im LaDøns unter dem Titel „Das Thier“ graphische Essays. In der Fotofabrique lesen an vielen Tagen Autor*innen aus ihren Werken und signieren diese auch. Die Comicbibliothek The Gutter öffnet den Seminarraum im obersten Stock der Fabrique zum Schmöken und Schwatzen. Und im Feminité Museum (neben dem Café Nasch) erzählt Jill Pastore in einem wortlosen Werk von der Freund*innenschaft queerer Vampirfledermäuse.
Was ihr vielleicht nicht wisst: was das Feminité Museum ist. So heißt ein zivilgesellschaftliches Projekt, das den Blick sich weiblich verstehender Menschen auf St. Pauli wiedergeben will – und darüber hinaus. Hinter der tollen Idee steckt das Kabinett der schönen Künste, das mit seinen Geschäftsräumen bei uns in der Caffamacherreihe zu Hause. Eine gute Gelegenheit also, die Initiator*innen kennenzulernen.
Was ihr wisst: Unser Haus in der Speckstraße wird saniert. Und während hier gerade das Oberlicht fürs Treppenhaus einschwebt, spricht man auch in Frankfurt am Main über unsere Sanierung: Das Gängeviertel ist eines der 24 internationalen Praxisbeispiele im Thementeil „Stadt und Dorf erneuern“ der Ausstellung „Nichts Neues - Besser Bauen mit Bestand“ im Deutschen Architekturmuseum. Diskutiert werden spannende und qualitätsvolle Alternativen zum energieaufwändigen Abriss und Neubau. Denn angesichts des Klimawandels sollte das nur noch in absoluten Ausnahmefällen eine Option sein. Sollten ihr in der Nähe sein, schaut vorbei!
Kommen wir zu Intimitäten: Offen und ehrlich geht damit das Team des Sexshopkollektivs Fuck Yeah um, dessen Laden nicht nur im Gängeviertel liegt, sondern das hier auch zu seinen Workshops lädt. Etwa zur Enttabuisierung der Menstruationsblutung. Am 1. Oktober findet der Bondage Brunch statt, der ist eher Jam Session als Workshop – Fesseln und Futtern im Seminarraum. Am 27. Oktober steigt die Queer Bingo Night, eine Soli-Gala für das feministische Zentrum RIA im Teehaus in Planten un Blomen.
Auch anregend: Am 7. Oktober stellt die Band Mittekill ihr neues Album „Phantom Club“ in der Fabrique vor und spielt Songs aus ihrem 20-jährigen Bestehen. KNARF RELLÖM macht als DJ den musikalischen Einstieg. Freut euch auf ein Konzert voller Rausch, Wortspielen und Phantasie.
Sehr ans Herz legen wollen wir euch zudem die Lesung von und das Gespräch mit dem Autor Jose Ovejero, der auch auf der Frankfurter Buchmesse zu Gast ist. Sein Roman „Aufstand“ behandelt das Spanien der Gegenwart: In einem immer enger werdenden Madrid bricht eine junge Frau aus der bürgerlichen Mitte aus, um den Verhältnissen den Kampf anzusagen. Jose Ovejero kommt am 26. Oktober ins Gängeviertel.
Um den Platz in einer sich dramatisch verdichtenden Stadt geht es auch immer wieder bei unserem Projekt. Wir sind vor 13 Jahren mit der Mission in unsere Häuser gezogen, Künstler*innen bezahlbare Räume in der Innenstadt zu bieten – dazu gehören auch Ausstellungsflächen. Eine davon wird gerade saniert: die Speckgalerie. Wir haben in den letzten Monaten eine neue Betreiber*innencrew gesucht. Sehr spannende Menschen haben sich beworben, und wir sind mitten im Auswahlprozess. Seid gespannt!
Wir möchten bei dieser Gelegenheit auf das Programm NOTED für darstellende
Künstler*innen in Deutschland verweisen, die in ihren Herkunftsländern
nicht mehr arbeiten können oder dürfen. Die Teilnahme an den teils digitalen Workshops, den Exkursionen und Arbeitstreffen ist kostenfrei. Im Oktober steht ein gemeinsamer Besuch des Festivals Fluctoplasma in Hamburg an. Mehr Infos auf verschiedenen Sprachen findet ihr online.
Solidarisiert euch mit Menschen, deren Stimmen nur gegen Widerstände oder gar nicht mehr gehört werden können! Beispiele gibt es dafür genug – seien es unsere kunstschaffenden Freunde in Armenien, bei denen einige von uns im September zum konspirativen Austausch zu Gast waren, als der aserbaidschanische Präsident das Land erneut bombardierte, um seine Macht auszubauen. Oder die mutigen Menschen im Iran, die nach dem Tod der 22-jährigen Studentin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam, die gegen die strengen Kleidungsvorschriften verstoßen haben soll, täglich gegen diesen Femizid auf die Straße gehen.
Mit tiefem Respekt.
Euer Gängeviertel