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Hamburg (Print Vermischtes)

Kreative gegen die Stadt

Mit ihrem Konzept zur Stadtentwicklung wollten die Grünen auch Künstler fördern.Die aber finden trotz GAL keinen Raum mehr in Hamburg - und machen mobil gegen Schwarz-GrünUnten diskutiert die Politik, oben demonstriert das Volk.Dass ein politisches Gremium wie die Bezirksversammlung nur noch unter Polizeischutz zu tagen vermag, ist im Bezirk Altona nichts Ungewöhnliches mehr. Am Donnerstag stand w

Mit ihrem Konzept zur Stadtentwicklung wollten die Grünen auch Künstler fördern. Die aber finden trotz GAL keinen Raum mehr in Hamburg - und machen mobil gegen Schwarz-Grün

Unten diskutiert die Politik, oben demonstriert das Volk. Dass ein politisches Gremium wie die Bezirksversammlung nur noch unter Polizeischutz zu tagen vermag, ist im Bezirk Altona nichts Ungewöhnliches mehr. Am Donnerstag stand wieder einmal das Thema Ikea in der Großen Bergstraße auf der Tagesordnung. Und wieder einmal befürchtete man Randale auf der Besuchertribüne. Denn erst kurz zuvor hatte die Immo Trading GmbH, die Noch-Verwalterin des Frappantgebäudes, das für Ikea weichen soll, rund 130 Künstlern einen Zwischennutzungsvertrag zu Ende November gekündigt.

Nur wenige Stunden zuvor beklagten namhafte Musiker, Künstler und Schauspieler in einem öffentlichen Manifest den generellen Mangel an "kreativen Räumen" in Hamburg. Das Netzwerk "Recht auf Stadt" versammelt mittlerweile nahezu 20 zumeist künstlerische Gruppen und kündigte bereits "Protestaktionen" an. Das besetzte Gängeviertel, das der Investor Hanzevast nun offenbar sogar mit richterlicher Unterstützung räumen lassen will, gilt ihnen nur als Symbol für eine mächtige "Bewegung". Andy Grote, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der oppositionellen SPD, wird seit Wochen nicht müde zu betonen, dass die Verteilung von innerstädtischem Raum eines der absolut zentralen politischen Themen der kommenden Jahre werde.

Doch es scheint, als klaffe ein tiefer Graben zwischen den Künstlern und der Politik. Trotz des seit Wochen schwelenden Gängeviertel-Konflikts schweigt Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk (GAL) beharrlich. In dieser Woche ließ sie lediglich ein paar Sätze verlauten. Tenor: Das städtebauliche Konzept solle überarbeitet, die Initiative der Künstler, aber auch die geltenden Verträge mit dem Investor Hanzevast sowie der Denkmalschutz berücksichtigt werden. Auch auf Nachfrage konnte ein Sprecher Hajduks nicht erklären, was das konkret bedeuten soll.

In Hajduks Partei, deren Herz eigentlich auf Seiten der Kreativen, Schwachen und Nicht-Kommerziellen schlägt, windet man sich. Die kulturpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion, Eva Gümbel, kritisiert die im Künstler-Manifest enthaltene Behauptung, die kulturpolitischen Fördermittel würden seit Jahren sinken. "Dies ist falsch. Im Doppelhaushalt 2009/2010 wurde eine Anhebung des Kulturetats um sieben Prozent bewilligt."

Und im Umgang mit den Gängeviertel-Künstlern, deren deutliche Diskussionsbeiträge man selbstverständlich "hilfreich" finde, zeige sich, so Gümbel, dass sich im Bewusstsein der städtischen Verantwortlichen etwas geändert habe. Dass der Senat nun umdenke und sein städtebauliches Konzept überarbeite, wäre ohne die Initiative der GAL nicht passiert.

Norbert Hackbusch, kulturpolitischer Sprecher der Linken, kommentiert hingegen: "Wir begrüßen den wachsenden Protest für eine lebenswerte Stadt für alle." Und SPD-Kulturexpertin Christel Oldenburg meint: "Der Senat redet gern über die kreative Stadt. Er geht mit denen, die sich der Kreativität verschrieben haben, aber unanständig um." Der Senat werde jetzt mit dem Fehler konfrontiert, zu viel Gewicht auf große und spektakuläre Projekte gelegt zu haben.

Eine Aussage von Kultursena-torin Karin von Welck (parteilos) machte derweil indirekt deutlich, dass die Anliegen der Hamburger Künstler bislang kaum wahrge-nommen wurden: "Die Künstler haben uns verstärkt sensibilisiert - sowohl für den Denkmalschutz als auch dafür, dass geeignete und finanzierbare Flächen für die Künstler in unserer Stadt zur Verfügung stehen müssen."

Wie langwierig die Suche danach aber sein kann, zeigt ein Beispiel aus Ottensen: In einem lang gestreckten Hinterhaus in einem Industriehof an der Behringstraße hat sich quasi im Miniformat etwas Ähnliches wie im Gängeviertel ereignet: Lange standen die Flächen ungenutzt leer. Ein Jahr lang haben Künstler mit der städtischen Sprinkenhof AG (Spri AG) verhandelt, haben einen eigenen Verein gegründet, haben Decken eingezogen, Strom- und Wasserleitungen verlegt. Der Mietpreis erhöhte sich schließlich von vier auf 8,90 Euro pro Quadratmeter.

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"Von unserem achtköpfigen Ursprungsteam sind nur noch drei Leute übrig. Einige zogen nach Berlin, wo aktuell ein gefördertes Atelier nur die Hälfte kostet und doppelt so groß ist", erzählt die Fotografin Susanne Ludwig, Vorsitzende des Vereins Der Gang. Neue Mitstreiter zu finden, war nicht einfach: "Erstaunt hat uns, dass der Andrang auf die Räume relativ zurückhaltend war." Was auch an der Perspektive liegen mag: In fünf Jahren endet der Vertrag mit der Spri AG.

Vermittelt hat das Gebäude der Verein Ateliers für die Kunst (AdfK), in dem die Künstlerin Katharina Kohl tätig ist. Sie selbst hat ihr Atelier im Atelierhaus Dosenfabrik in Bahrenfeld: "Wir hatten neulich zwei größere Ateliers zu vermieten, wir sind sie nicht losgeworden. Die Künstler können im Moment die vergleichsweise hohen Gewerbemieten nicht bezahlen." Die Lösung, freie Flächen städtischer Vermieter wie etwa der Spri AG an Künstler zu vermieten, ist für den AfdK daher naheliegend. Dass das möglich ist, bewies unlängst die Stadtentwicklungsbehörde: Als im Jenischpark das ehemalige Verwaltungsgebäude der Gartenbauabteilung leer stand, wurde es über den AfdK zu vier Euro pro Quadratmeter an Künstler vergeben.

Der Berufsverband Bildender Künstler (BBK) zählt gut 500 Mitglieder, allein in Hamburg gibt es aber mehr als 1000 Künstler, schätzt Frank Lüsing vom BBK. "Es sind nicht allein die fehlenden Atelierflächen, die den Künstlern zusetzen", sagt Lüsing und verweist etwa auf den gesunkenen Etat für die Kunst im öffentlichen Raum, der für viele örtliche Künstler gelegentlich eine halbwegs sichere Einnahmequelle war und der von einst 500 000 Euro nun auf rund 100 000 Euro abgestürzt sei. Gleiches gelte für das Hamburg-Stipendium, das einmal im Jahr an gerade einmal zehn Hamburger für ein Jahr vergeben wird: "Das Stipendium sind 800 Euro im Monat, das ist in etwa der frühere Sozialhilfesatz und damit kann sich niemand ein Atelier finanzieren."

Auch Claus Mewes, Leiter des Kunsthauses in Hamburg, sagt: "Die äußerst schwierige Atelier-Situation in Hamburg erklärt sich nicht unbedingt durch fehlende Räume, sondern durch die finanziellen Verluste der jungen Künstler in den vergangenen Jahren. Kaum ein Künstler in Hamburg kann sich die Doppelbelastung von Wohn- und Atelierraum leisten, da immer weniger Förderung seitens der Stadt für Projekte zeitgenössischer Kunst zur Verfügung gestellt wird." Mewes konstatiert: "Der Exodus einer ganzen Generation Hamburger Künstler nach Berlin erklärt sich aus der dortigen Situation mit dem Angebot günstigeren Atelier- und Mietraums sowie günstigeren Lebenshaltungskosten. Inzwischen hat sich dadurch in Berlin eine höchst lebendige Szene entwickelt, die internationale Anziehungskraft besitzt."

Berlin ist kreativ, keine Frage. In ihrem Manifest lehnen die Hamburger Künstler das Schlagwort "Kreative Stadt" für die Hansestadt hingegen ab. Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Farid Müller kommentierte dies beim Fernsehsender Hamburg 1: "Ich habe schon eine große Verwunderung über die Art der Kritik. Es schwingt in dem Papier die generelle Kritik mit, dass man mit Krea-tivität Geld verdienen könnte. Das grenzt schon an bornierten Kultursozialismus."

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