Das Speckhaus ist das vierte Gebäude des Gängeviertels, das für die Zukunft ertüchtigt wurde. Und dass, obwohl es vor vielen Jahren eigentlich dem Erdboden gleichgemacht werden sollte. Stattdessen freuen wir uns nun über die Eröffnung eines weiteren Kultur-, Arbeits- und Wohnraums in der Mitte Hamburgs.
Die offizielle Einweihung erfolgt am 12. April zusammen mit den am Speckhaus beteiligten Handwerksbetrieben, den Gestalter*innen und Nutzer*innen des Gängeviertels, der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Denkmalverein und Denkmalschutzamt Hamburg sowie dem Bezirksamt Hamburg-Mitte und auch die Behörde für Kultur und Medien kommt in die Gänge.
DIE NEUE HAUSGEMEINSCHAFT
In den vergangenen Wochen war es spannend mitzuerleben, wie sich der Bauch des Speckhauses langsam füllt. Wie vor der Sanierung wird die erste Etage als Kunstraum genutzt. Dafür hat sich ein neues Kollektiv gefunden: Die Gruppe Motto ist ein Zusammenschluss aus aktuell vier jungen Kunstliebhaber*innen. Im Laufe eines Jahres wollen sie zehn bis zwölf Gruppenausstellungen organisieren. Jede Ausstellung steht unter einem eigenen Motto. Dabei sollen möglichst diverse Perspektiven und Praxen die Gelegenheit zu Ausstellung und Positionierung bekommen. Bildhauerei, Bewegtbild, Performance, raumfüllende Installationen, Malerei, Fotografie, Konzeptkunst, Soundarbeiten und textile Kunst – dem Medium ist keine Grenze gesetzt.
Ein weiterer Neuzugang sind Werkstatt und Druckkollektiv RISOFORT im rechten Souterrain. An ihren Druckmaschinen produzieren sie Zines und Bücher, Kunstdrucke sowie Flyer und Poster und bieten regelmäßig offene Werkstätten und Workshops an. „Abgesehen davon, dass die Drucktechnik mit Geldtasche und Umwelt einigermaßen verträglich ist, sehen wir unsere Geräte als Werkzeuge für ästhetische Experimente und politische Ermächtigung“, so das Kollektiv. Und weiter: „Wir freuen uns über alle, die auch einfach nur mal Hallo sagen kommen. Wir werden viel vor Ort sein, werkeln und herumräumen.“
Der Ceramicclub Gängeviertel findet im linken Souterrain ein Zuhause. Die Künstlerinnen Hendrike und Käthe schaffen hier ein offenes und unkommerzielles Studio, das engagierte Menschen befähigen soll, die Werkstatt (Insta-Link) als Co-Working-Space zu nutzen. „Wir wollen Keramik im Gängeviertel fest etablieren, das Handwerk nach außen sichtbar machen und wortwörtlich Drehscheibe für Interessierte sein“, so die beiden. „Wir wollen uns mit anderen Keramiker*innen der regionalen Szene vernetzen und internationale Möglichkeiten des Austausches mit und über Keramik schaffen.“
ANFANG UND ENDE REICHEN SICH DIE HÄNDE
Mit dem gründerzeitlichen Wohn- und Geschäftshaus in der Speckstraße 83 bis 87 geht es einen großen Schritt weiter im Plan, die historischen Häuser des Gängeviertels zu erhalten und langfristig nutzbar zu machen. Das Haus ist das letzte unter der Adresse Speckstraße, deren Umfeld sich durch den Bau des ehemaligen Axel-Springer-Verlagsgebäudes und des sogenannten Brahmsquartiers sehr verändert hat.
Durch die kulturelle Inbesitznahme des Gängeviertels im Sommer 2009 wurde dem hier stehenden Haus nach vielen Jahren des Leerstandes kulturelles Leben eingehaucht. Die Wohnungen im Hochparterre dienten mehr als elf Jahre einer Galerie zu Ausstellungen, Performances, Konzerten, Symposien und Workshops. In den Obergeschossen befanden sich Ateliers und Arbeitsräume. Im Souterrain gab es neben einer Fahrradwerkstatt auch Proberäume und experimentelle Felder, die temporär für Furore sorgten. Einer, der diese wilden Jahre mitprägte, war Künstler und Gängeviertel-Aktivist Klaus Dietermann, der im letzten Jahr verstarb und schmerzlich vermisst wird. Seinem Leben, seinen Arbeiten und seinem Unfug ist die „Klausstellung“ gewidmet, die am 13. April in der Galerie im Speckhaus von Wegbereiter*innen liebevoll zusammengestellt wurde.
Im Speckhaus entstanden mit öffentlicher Förderung (§5- und §6-Scheine) zwei Wohnungen sowie zwei Arbeitsraumwohnungen und eine Groß-WG. Im Souterrain befinden sich Gewerbeflächen. So findet hier die besondere Mischung des Gängeviertels in seiner Vielfalt wieder ein neues altes Zuhause. „Wir sind im Gängeviertel angetreten, um bezahlbare Arbeitsflächen für Künstler*innen zu schaffen“, sagt Lena Frommeyer, Vorstand des Vereins Gängeviertel e.V. „Dass diese Mission bei der Belegung der Häuser auch weiterhin ernst genommen wird, ist uns wichtig.“
WIE GEHT ES WEITER?
Die Gängeviertel Genossenschaft 2010 e.G. übernimmt das Speckhaus im Rahmen des mit der FHH geschlossenen Erbbaurechtsvertrags. Die Sanierung wurde durch das Architekturbüro Sascha Schäfer und die Steg Hamburg durchgeführt. Dabei war es der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG und der Baukommission des Gängeviertels besonders wichtig, die Geschichte des Bauwerks unter Beachtung des Denkmalschutzes zu bewahren, da die Häuser Teil des historischen Gedächtnisses der Stadt sind.
„Dafür wurde versucht die Brauntöne der Fassade dem Erbauungszustand nachzuempfinden, die Fenster im Erdgeschoss, die unterschiedliche Zeiten der Nutzung dokumentieren, wurden erhalten und ertüchtigt, die Fenster in den Obergeschossen sind wie die bauzeitlichen Fenster aus Holz und nach außen öffnend, Teile des Daches mit Schiefer gedeckt und alle Türrahmen sowie zahlreiche Türen, Fensterbekleidungen und Sockelfußleisten erhalten und auch zukünftig lässt ein Glasoberlicht Tageslicht in das Treppenhaus hinein“, so Robin Holzer vom Genossenschaftsvorstand. Ebenso wurden die Flächen im Souterrain soweit hergerichtet, dass dort – dem Bild der nutzungsgemischten alten europäischen Stadt folgend – wieder öffentlichkeitsbezogene Nutzungen (Gewerbe, Kultur) stattfinden können.
Das Haus in der Speckstraße ist das vierte von zwölf Häusern im Gängeviertel, das den Sanierungsprozess durchlaufen hat. Zuvor wurden das sogenannte Kupferdiebehaus, das Jupihaus und die Fabrique als kulturelles Zentrum des Platzes modernisiert und instandgesetzt. Letztere wurde im Jahre 2016 in Anwesenheit der mittlerweile verstorbenen Kultursenatorin Barbara Kisseler feierlich wiedereröffnet.
Denkmalschutz ist Klimaschutz
Nachdem die Arbeiten an der Speckstraße abgeschlossen sind, verlagert die Sanierung ihren Schwerpunkt in die Schier’s Passage. Hier laufen schon die Planungen zur Ertüchtigung des ersten Teils des historischen Backsteinensembles aus dem 19. Jahrhundert, zunächst mit dem sogenannten Familienhaus und dem Terrassenhaus. Die große Herausforderung, diese Baudenkmäler in einen zukunftsfähigen Zustand zu versetzen, besteht insbesondere in der nachhaltigen und denkmalwürdigen Sanierung und den aktuell hohen Kosten im Bausektor. Die Bauarbeiten in diesem wichtigen Sanierungsabschnitt sollen 2025 beginnen.
Für uns gilt: Denkmalschutz ist Klimaschutz. Für eine zukunftsorientierte Nutzung des kulturellen Erbes durch energieeffizientes Sanieren ist es notwendig die tatsächlichen Kosten, die für jeden Einzelfall, jedes Haus, geeignet scheinen, zu berücksichtigen. Hier könnten wir Pioniere und Innovationstreiber sein. Und Klimaschutz kann nur gelingen, wenn die soziale Frage mit beantwortet wird. Wir sind mehr als ein Viertel, wir brauchen mehr Gängeviertel. Es geht ums Überleben. Wohnraumleerstand ist verboten. Gleichzeitig ist klar: Eine Vielfalt, wie wir sie darstellen, ist privilegiert, da nicht alle die Kraft und Zeit aufbringen können gegen politische und administrative Widerstände so lange durchzuhalten, wie wir es tun. Das ist nur in Eigeninitiative und selbstorganisiert möglich.
Kontakt für die Presse:
Lena Frommeyer
lena@das-gaengeviertel.info