Seit zwei Jahren strahlt das Künstlerquartier weit über Hamburg hinaus. Verhandlungen mit der Stadt über seine Zukunft festgefahren.

Hamburg. Wenige Schritte neben der U-Bahn-Station Gänsemarkt liegt der "Kutscherhof" des Gängeviertels. Ein Hinterhof ohne Durchgang mit vielen Sitzmöbeln, die dekorativ vor sich hingammeln. Eine grauhaarige Dame mit hanseatischer Tönung in der Stimme fotografiert eine Wand mit den gesprayten Konterfeis von W. C. Fields und den Marx Brothers. "Ja", sagt Darko Caramello, "der bunte Hinterhof sieht ein bisschen aus wie ein Jugendzimmer." Kunst habe eben immer mit dem Nicht-loslassen-Wollen von Kindheit zu tun. "Und das berührt halt alle."

Fast auf den Tag genau zwei Jahre ist es her, dass das totgeglaubte Gängeviertel die Seele der Stadt berührt hat. Als nichts mit dem historischen Quartier passierte, obwohl es an einen Investor verkauft war, sagten Künstler und Kreative: genug jetzt. Es langt. Sie kamen am 22. August 2009 und gingen einfach nicht mehr weg. Es gab zuerst vor allem prominente und dann ganz viele Unterstützer. Am Ende kaufte die Stadt zurück, was sie einmal loswerden wollte, und gelobte Besserung.

Mehr als 1000 Veranstaltungen hat es seitdem gegeben. Ausstellungen, Diskussionen, Partys, mit Zehntausenden Gästen aus Hamburg, Deutschland, der halben Welt. Die Dame aus Bremen ist entzückt über das Gespräch mit dem 32-Jährigen, der hier zu "den Alten" gehört. Das freiheitliche Gefühl und die Drucklosigkeit, das mache das Viertel aus, sagt Caramello. "Es muss sich nicht alles lohnen, was man macht." Und noch etwas, das Hanseaten gern hören, sagt er: "Jeder ist hier der Vogel, der er ist." Die bunten Vögel meinen es ernst, gegenüber der Hochglanzfassade des Emporio-Hauses, das für 200 Millionen Euro runderneuert wird.

Wie ernst es die Menschen des Viertels meinen, zeigt die Arbeit hinter den Kulissen, wo ein Verein, eine Genossenschaft und eine Selbstverwaltung bis ins Kleingedruckte ausgearbeitet wurden. Ein Möglichkeitsraum für Kulturelles und Soziales soll entstehen.

Von Anfang an mit dabei ist Heiko Donsbach. Warum sind die Verhandlungen mit der Stadt so schwierig? "Die Stadt hat keine Vision, wie das Gängeviertel werden soll. Die neue Stadtentwicklungsbehörde trennt Form und Inhalt." Die wolle ganz schnell Sozialwohnungen, alles andere interessiere nicht. "Die Behörde verhandelt nicht mehr auf Augenhöhe." Für das Viertel sei entscheidend, was nach der Sanierung folgt, wer sie durchführt und: wie die Verwaltung dabei aussieht. "Das Gängeviertel ist und bleibt ein kulturelles Projekt, obwohl es nicht den Ort klassischer Hochkultur darstellt."

Derzeit ist die Zukunft des Gängeviertels aber auch ein Streitfall zwischen seinen Pflegern und der Stadt. Ein unterschriftsreifer Vertrag liege im Prinzip auf dem Tisch, sagt die Stadtentwicklungsbehörde, es seien aber noch Punkte zu klären. Der 8. September wäre der nächste mögliche Termin, um das Areal in der Bürgerschaft als Sanierungsgebiet festlegen zu lassen.

Ein Knackpunkt auf dem Weg dorthin ist die Frage der Selbstverwaltung. Die Genossenschaft möchte die jeweils fertigen Gebäude sukzessiv in die Selbstverwaltung übernehmen, die Stadt möchte alles sanieren und erst dann an die Genossenschaft übergeben, erklärt Gängeviertel-Sprecherin Christine Ebeling. Für die Durchführung der Sanierung möchte man ein Team aus Stadt, der Initiative und einem neutralen Architekten. Die Stadt wiederum möchte all das bei der Steg ansiedeln. "Das Geld, das die Stadt hier investiert, ist doch eine Investition in die eigene Zukunft. Wir wollen die Sicherheit haben, dass wir nicht bloß Plausenclowns für die Jahre der Sanierung sind."

In der Behörde von SPD-Senatorin Jutta Blankau sieht man das anders. Sie sagt: "Wir haben intensiv mit dem Verein Gängeviertel e.V. verhandelt und weitreichende Zugeständnisse gemacht. Es sind noch wenige Punkte offengeblieben, über die wir weiterhin Gespräche führen werden. Aufgrund der Bedeutung des Projekts war es mir jedoch wichtig, die bisherige Einigung schon jetzt auf den Weg zu bringen. Wir hoffen, dass es zur baldigen Einigung und zu einer Unterzeichnung kommt."

In den bunten, mit viel Allerlei angereicherten Gängen des Verhandlungsobjekts trödeln unterdessen Lebenskünstler vor sich hin. 14 Uhr, Frühstück mit Brötchen und Saft für fünf junge Männer. Drei Besucher fotografieren, die Motive machen Theater. Erst nach Sekunden begreifen die Besucher schmunzelnd, dass sie Akteure eines Theaterstücks geworden sind, das heißt: "Wir möchten gefragt werden, dann dürft ihr uns fotografieren."

Die "Brache" ist ein Fleckchen Erde mit Büschen, Bäumen und Töpfen, mit Kräutern, Unkraut, Bäumchen und Büschchen. Hunderte dieser Töpfchen müssen es im Viertel sein, alle scheinen bestens gewässert. "Das machen die Mädchen der Gartengruppe", sagt Darko. Da mag Kritik an Kleingartenromantik mitklingen. Doch hier seien "mehr Frauen als Männer bei wichtigen Prozessen aktiv", sagt Marion Walter. Sie sitzt mit Claudia Pigors beim Tee vor der "Butze", Bildhauerinnen, mit diesem festen Händedruck ausgestattet, den schweres Werkzeug antrainiert.

Mit am Tisch: zwei Mütter und ihre Babys. Vier gibt es nun hier, von Paaren, deren Partner sich im Gängeviertel kennenlernten. Ein fünftes ist unterwegs.

Kultursenatorin Barbara Kisseler, nicht direkt bei der Geburtshilfe der neuen Strukturen zuständig, sekundiert wohlwollend: "Die Gängeviertel-Initiative hat in wertvolle Impulse für die künstlerische und stadtteilkulturelle Arbeit in Hamburg und darüber hinaus gegeben." Man sei nun auf dem Weg, die Initiative auch rechtlich abzusichern. "90 Prozent dieses Weges sind wir bereits gegangen, die letzten zehn werden wir jetzt auch noch schaffen."

In Pigors' winzigem Atelier in der "Tischlerei" stehen Bronzeplastiken, in einer Plastikwanne voll Sand steht eine halb fertige Mini-Skulptur aus Marmor. "Ich komme gerade kaum zum Arbeiten, weil ich nur im Büro bin", die Arbeit an der Satzung habe so lange gedauert.

Den Faktor Zeit betont auch Markus Schreiber (SPD), Chef des Bezirks Mitte. "Der Rückkauf war richtig, jetzt muss die Stadt dauerhaft Eigentümer bleiben, die geförderten und geforderten Wohnungen dürfen nicht nur einem exklusiven Kreis zur Verfügung stehen. Das heißt auch: Die Häuser dürfen nicht Stück für Stück an die Künstler vergeben werden, das Gängeviertel muss als städtisches Quartier im Ganzen saniert werden. Und das muss schnell geschehen, weil man nicht weiß, ob die Häuser noch einen Winter überstehen."

Doch noch ist, zumindest kalendarisch, Sommer. Darko Caramello plant seine nächste Rauminstallation, ihr Name: "Infantile Selbstsuche im Freiraum des Gängeviertels". Auf den Titel kam er durch einen siebenjährigen Jungen, der eine halbe Stunde bei einer anderen Arbeit von ihm stand und dann um ein Autogramm bat. "So habe ich mein erstes Autogramm gegeben", freut sich Caramello wie ein kleines Kind.

Informationen über das Geburtstags-Programm am 26.-28.8. unter www.das-gaengeviertel.info