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Hamburg

"Die Stadt droht abgehängt zu werden"

Städte-Experte Dieter Läpple über Pläne, in Hamburg mehr Hochhäuser zu bauen

Die Bücher, zumeist fremdsprachig, türmen sich an den Wänden. Kaum jemand weiß so fundiert von den Möglichkeiten und Grenzen der Städte zu berichten wie Dieter Läpple, Jahrgang 1941, Professor für Internationale Stadtforschung an der Hafencity Universität und zurzeit Mitbegründer eines neuen Forschungszentrums in Singapur. "Welt"-Redakteur Olaf Dittmann sprach mit ihm über die Ideen von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Hamburg zur Big City und zur wichtigsten deutschen Metropole zu machen.

Die Welt: Herr Läpple, wann ist eine Stadt wirklich erfolgreich?

Dieter Läpple: Der Erfolg hat wenig zu tun mit quantitativen Größen, wie zum Beispiel der Einwohnerzahl oder der Höhe ihrer Häuser. Er hat vor allem etwas zu tun mit der Qualifikation der Menschen. Dies gilt ganz besonders für ältere Städte, denn sie müssen sich immer wieder neu erfinden. Nach Edward Glaeser, dem Autor, auf den sich der Bürgermeister in seinen Thesen bezieht, ist ein Indikator entscheidend: der Anteil der Menschen mit Hochschulabschluss. Die wirkliche Zeitbombe, die in Hamburg tickt, liegt also nicht beim Wohnungsbau, so dringend der im Augenblick ist, sondern bei der Entwicklung des Ausbildungssystems, insbesondere der Hochschulen und Universitäten.

Die Welt: Sind wir für die Zukunft nicht klug genug?

Dieter Läpple: 2010 lag der Anteil der Akademiker an allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Hamburg bei 13,7 Prozent - in München und Stuttgart war es über 22. Außerdem hat die Region München acht Mal so viele Menschen in Forschung und Entwicklung beschäftigt wie die Region Hamburg. Die Stadt droht auf eine dramatische Weise abgehängt zu werden. Hinzu kommt der demografische Wandel: Das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften geht ab 2015 oder 2020 deutlich zurück, während die Anforderungen am Arbeitsmarkt steigen.

Die Welt: Ist dies nicht auch ein Problem der Schulen?

Dieter Läpple: In diesem Bereich ist Hamburg vorangekommen. Das viel größere Problem ist, dass Hamburg seit Jahrzehnten Hochschulpolitik nur zum Sparen betreibt. Das ist wirklich dramatisch. Was mich tief beunruhigt: In dieser Stadt nimmt es ein aufgeklärtes Bürgertum hin, dass die Universitäten abgehängt und damit perspektivisch kaputt gemacht werden. Es empört sich kaum jemand. Man kann seine Kinder ja ins Ausland schicken zum Studieren. Als Hapag-Lloyd in Not war, hat Hamburg sofort sein Tafelsilber verkauft. Wir brauchen viel eher ein Sondervermögen für die Hochschulen.

Die Welt: Der aktuelle Hochschulstreit betrifft ein paar Millionen Euro. Sie denken offenbar in anderen Dimensionen?

Dieter Läpple: Ja, Hamburg investiert in Hafen und Umschlagbetriebe und nicht in Köpfe. Es bringt nichts, bestehende Branchen zu subventionieren. München, Barcelona, Mailand, Boston sind Städte, an denen sich Hamburg messen kann. Alle haben es vorgemacht: Die entscheidende Wende für wirtschaftliche und soziale Kraft waren Investitionen in Ausbildung, Forschung und Wissenschaft.

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Die Welt: Mancher Sozialdemokrat würde einwenden, dass dies nur die Elite betreffe. Was ist mit den Menschen aus sozial schwachen Milieus?

Dieter Läpple: Kitas und Schule sind wichtig. Aber wir brauchen auch eine Alternative zu den Ein-Euro-Jobs. Im Bereich der lokalen Energieproduktion gäbe es Jobmöglichkeiten. Wir müssen ausloten, wo und wie wir qualitätsvolle Produktion zurück in die Stadt holen.

Die Welt: Das ist ein unübliches Verständnis von Metropole. Sonst spricht man meist von Internationalität und davon, dass die Geschäfte der Innenstadt für internationale Gäste attraktiv sein müssen.

Dieter Läpple: Diese Form der "unsichtbaren Stadt" findet man überall. Gefragt sind aber Städte mit Charakter, wie etwa Amsterdam oder Wien mit inhabergeführten Geschäften und Vor-Ort-Produktion.

Die Welt: Jetzt feierte die Gängeviertel-Initiative zwei Jahre Besetzung. Wie auch immer man dies beurteilt - Europa schaute seit August 2009 auf diese Häuser. Hamburg hatte ein Alleinstellungsmerkmal.

Dieter Läpple: Ja, die Besetzung war ein Glücksfall. Die Innenstadt hat wieder ein Gesicht bekommen. Eine wichtige Frage ist aber: Wie kann dies dauerhaft gesichert werden? Die Stadt muss mit den Künstlern Spielregeln festlegen, wie es genutzt wird. Letztlich sollte in jedem Stadtteil ein solches Künstlerzentrum entstehen.

Die Welt: Kommen wir zu Scholz' Ideen zurück. Sind sie neu, oder ist das nur die Wachsende Stadt der CDU, einfach anders benannt?

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Dieter Läpple: Die Diskussion von der Rückkehr der Stadt ist schon älter. Ich finde es sehr gut, dass der Bürgermeister so genau die zentrale Funktion der Stadt beschreibt. Hamburg ist eine der attraktivsten Großstädte Deutschlands und hat das Zeug, die Metropole Deutschlands zu werden. Die Gefahr ist nur, dass wir das Wohnungsproblem nur noch quantitativ diskutieren und nicht qualitativ. Die Wohnungsnot mit Hochhäusern bekämpfen zu wollen ist keine gute Idee. Der Bau von Hochhäusern ist rund 20 Prozent teurer und spielt eigentlich nur für Luxuswohnungen eine Rolle. Wir haben im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen das größte Flächenpotenzial, zum Beispiel bei den untergenutzten Flächen im östlichen Hafengebiet, etwa auf dem Kleinen Grasbrook.

Die Welt: Sind Grünflächen in Gefahr?

Dieter Läpple: Man könnte in neuen, lebendigen, erlebbaren Quartieren wunderbare Grünflächen ja sogar erst schaffen.

Die Welt: Welche Rolle spielt der Verkehr?

Dieter Läpple: Ganz klar: eine Schlüsselrolle. Wir haben das Problem, dass wir die Richtwerte der Luftreinhaltung nicht einhalten. Eine Metropole, wie sie Scholz vorschwebt, hat nur eine Perspektive, wenn wir den Autoverkehr zurückdrängen. Langfristig kommt man um die Stadtbahn nicht herum. Und auch die City-Maut ist ein sinnvolles Mittel. Es ist nicht einzusehen, warum die Leute mit ihren Geländewagen umsonst in die Stadt fahren, die Straßen kaputt machen, sich über Schlaglöcher beklagen - und andere bezahlen den öffentlichen Nahverkehr. Auch Umweltzone und bessere Bewirtschaftung der Parkplätze sind sinnvoll.

Die Welt: Es gilt das Bürgermeisterwort, die Stadtbahn sei nicht finanzierbar.

Dieter Läpple: Mittelfristig werden die Busse wahrscheinlich teurer, da die fossilen Brennstoffe teurer werden. Früher oder später wird die Stadtbahn kommen. Wir dürfen nicht nur bis zu den nächsten Wahlen 2015 denken, sondern müssen die Weichen bis 2030 und 2050 stellen.

Die Welt: Sie sind viel unterwegs. Sind die Hamburger in besonderem Maße auf das Auto fixiert?

Dieter Läpple: Ja. Es gibt ein tolles Beispiel aus New York. Dort wurde der Times Square für Autos gesperrt, es wurde Kunstrasen gelegt und Tische aufgestellt. Die Leute waren begeistert, und man hat das Projekt verstetigt.

Die Welt: Auch Glaeser vertritt diese Thesen. Wenn Scholz sich auf dessen Buch beruft, müsste er letztlich auch eintreten für City-Maut, Radstreifen, Stadtbahn und teurere Parkplätze?

Dieter Läpple: Ja, ganz klar. Wir brauchen Experimente wie den autofreien Sonntag, damit die Menschen merken, wie man ohne Auto auskommen kann. Es geht nicht um Verzicht, sondern darum, ein Auto nur situativ zu benutzen und nicht mehr zu besitzen. Unser wertvollster öffentlicher Raum sind die Straßen, wir müssen sie zurückgewinnen für die Menschen. Das ist - neben der Investition in Köpfe - der Schlüssel einer nachhaltigen Stadtentwicklung.

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