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Vermischtes (Print WAMS)

Der SPD drohen brennende Barrikaden

Die Zukunft der Roten Flora zu gestalten wird eine der ersten großen Herausforderungen für den neuen Senat. Aber auch der Verband "Recht auf Stadt" konfrontiert die Regierung mit Protest

Opposition hat ihre Vorteile. Da kann man als Sozialdemokrat seine Solidarität mit den Künstlern bekunden, die das Gängeviertel besetzt haben. Man kann auf die Gefahren der Gentrifizierung ehemals bezahlbarer Stadtviertel hinweisen und ein offenes Ohr für Bürgerinitiativen haben, die sich gegen Veränderungen ihres Kiezes stemmen. Mit der Verantwortung kommen dann die Probleme. Schon wenige Wochen, nachdem die SPD in der Stadt die Macht übernommen hat, sieht sich der neue Senat mit dem Protest von links konfrontiert. Dabei zeichnen sich die Konfliktlinien der Zukunft ab.

Eskalieren könnte schon bald der Konflikt um die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel, wenn brennende Barrikaden drohen. Das einzige seit mehr als 20 Jahren besetzte Haus Deutschlands ist längst zu einer Ikone der Autonomen weit über die Hansestadt hinaus geworden. Kürzlich hat sich der neue Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) als Sympathisant des Kulturzentrums zu erkennen gegeben, als er gewohnt knapp erklärte, am jetzigen Zustand solle sich "im Großen und Ganzen" nichts ändern. Wie dies allerdings umgesetzt werden kann, dafür fehlt der Stadt bislang offenbar ein Plan.

Denn Eigentümer Klausmartin Kretschmer darf das 1770 Quadratmeter große Gelände am Schulterblatt seit Ende März verkaufen. Und er ist entschlossen, genau das zu tun - wahlweise an die Stadt oder an einen anderen Investor. Das Szenario, das Kretschmer für die Zukunft der Roten Flora zeichnet, ist geeignet, nicht nur die Schanzenbewohner zu schrecken, sondern auch die Verantwortlichen im Rathaus. Die Investoren, die er an der Hand habe, würden das Kulturzentrum auf jeden Fall räumen und vermutlich auch abreißen lassen, so sagt es Kretschmer, um dann auf dem Filet-Grundstück ein kleineres neues Stadtteilzentrum zu bauen, vor allem aber Wohnungen und Einzelhandelsflächen. Kretschmer wird vorgeworfen, auf diese Weise den Kaufpreis, den er für seine Immobilie verlangen kann, in die Höhe treiben zu wollen.

Doch gepokert wird auf beiden Seiten. Die neue Regierung gibt sich betont gelassen und verweist darauf, die Nutzung der Roten Flora als Stadtteilkulturzentrum sei vertraglich festgeschrieben. Das sieht Kretschmer anders.

Wie dringlich das Problem ist, werden die Sozialdemokraten spätestens am 30. April erleben. Die Rote Flora ist ein Pulverfass, dessen Lunte regelmäßig zum 1. Mai angezündet wird. In diesem Jahr allerdings sorgt der drohende Verkauf für zusätzlichen Zündstoff. Bundesweit mobilisieren Autonome für eine Großdemonstration im Schanzenviertel. Auf Gegenliebe stößt Scholz bei den Rotfloristen ohnehin nicht. Die Stadt sei für sie kein akzeptabler Kooperations- oder Verhandlungspartner und deren Politik "Teil des Problems, zu dem wir einen Kontrapunkt schaffen wollen", ließen sie kürzlich wissen.

Es entbehrt nicht einer historischen Gerechtigkeit, dass die Sozialdemokraten es sind, die jetzt für die Rote Flora eine Lösung finden müssen. Schließlich war es ein SPD-geführter Senat, der sich im März 2001 unmittelbar vor dem Bürgerschaftswahlkampf des Problems entledigte, indem er das besetzte Haus an den Privatmann Kretschmer verkaufte. Schon damals nutzten die Linksautonomen das umkämpfte Kulturzentrum ohne Mietvertrag und nur qua Duldung. Investor Kretschmer duldete vertragsgemäß weiter, zehn Jahre lang, und ließ die Autonomen mietfrei in dem Gebäude residieren.

Jetzt fordert er vom Senat, sich aktiv um eine Lösung zu bemühen. "Das ist seine politische Aufgabe. Ich setze meine Hoffnung darein, dass sich die Politik ihrer Verantwortung bewusst ist", sagt Kretschmer. Wenn der Investor als Eigentümer Gesprächsbedarf habe, möge er sich doch bitte melden, heißt es von der Stadt. Offiziell sieht jede Seite die jeweils andere am Zug. Insider gehen davon aus, dass die Verhandlungen hinter den Kulissen längst in Vorbereitung sind.

Andernorts weht der SPD der kalte Wind steif von links entgegen. Die Zahl der Initiativen und Gruppierungen, die sich unter dem Dach des Quasi-Verbandes "Recht auf Stadt" zusammengefunden haben, ist seit 2009 gewachsen. Und schon kurz nach der Wahl gerät die neue Regierung jetzt immer wieder mit den innerstädtischen, meist links orientierten Gruppen aneinander. So bringt Markus Schreiber (SPD), Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Mitte, derzeit die Szene gegen sich auf, indem er bis Ende April den Bauwagenplatz Zomia in Wilhelmsburg räumen lassen will - auch wenn er berechtigte formale Gründe haben mag. In Altona begehrten unterdessen die Anwohner auf, als Oberbaudirektor Jörn Walter ihnen eine in ihren Augen völlig unzureichende Beteilung bei der Planung für das neue Quartier Mitte Altona zubilligen wollte. Zwar sicherte Walter zu, man wolle sich nun treffen, um gemeinsam ein Vorgehen zu entwickeln. Doch es ist noch nicht einmal klar, ob die Stadtentwicklungsbehörde oder der Bezirk Altona dabei federführend sein wird. Und das Bernhard-Nocht-Quartier auf St. Pauli wird zwar längst rechtmäßig umgebaut. Doch auch dort müsste die Politik vermitteln - immer wieder stören Anwohner die Arbeiten massiv.

Ob Wilhelmsburg, St. Pauli oder Altona: Ein SPD-Abgeordneter räumt ein, von einem idealen Modell der Bürgerbeteiligung sei man generell noch weit entfernt. Nicht einfach gestaltet sich zudem die Zusammenarbeit zwischen Politik und Verwaltung auf der einen und den verschiedenen Recht-auf-Stadt-Gruppierung auf der anderen Seite, da diese meist keineswegs mit einer Stimme sprechen. Noch nicht einmal in jeder einzelnen Gruppe.

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So hat sich die Stadtentwicklungsbehörde noch immer nicht mit den Gängeviertel-Künstlern über die künftige Verwaltung des Häuserareals am Valentinskamp einigen können. Seit August 2009 ist es besetzt, vor genau einem Jahr verkündete man stolz, eine Lösung gefunden zu haben. Doch ungeklärt ist weiter die Frage, wer das Gängeviertel verwalten soll und wie viel Eigenregie die Künstler übernehmen können. Ein wesentlicher Grund: Die Vereinsmitglieder sind uneins; oft können die "Sprecher" gar nicht für alle sprechen. Zeit für runde Tische also. Doch aus der Behörde heißt es knapp, die neue Senatorin habe sich mit dem Thema noch nicht befasst.

Für Christoph Twickel, einer der profiliertesten Köpfe bei "Recht auf Stadt", hat die SPD in Sachen Beteiligung kein klares Konzept: "Die Politik sollte Bürgerbeteiligung als Chance begreifen. Die SPD hat noch keine klare Antwort, gibt sich oft autoritär und sollte doch eigentlich in den Bürgern Partner sehen. Man könnte sich zum Beispiel überlegen, an Stelle einer Beteiligung, die für die Bürger eigentlich nur ein Danebensitzen bedeutet, die Menschen vor Ort zur Wunschproduktion und Mitentscheidung einzuladen. Zum Beispiel muss die SPD nun endlich ganz deutlich sagen, wie sie zum sozialen Wohnungsbau im neuen Quartier Mitte Altona steht", so Twickel. Bei "Recht auf Stadt" wolle man nun deutlich machen, dass man die Konfliktfelder "im Blick" habe.

Ein weiteres Zeichen, dass der Sommer für die SPD ungemütlich wird.

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