Protest: Thalia wird politisch

Das Theater ruft zum Widerstand gegen die Sparpläne der Kulturbehörde auf: Es holt die Betroffenen auf die Bühne.

Echter Protest auf der Theaterbühne: Mitarbeiter des Altonaer Museums demonstrieren im Thalia. Bild: dpa

"Lassen Sie mich mal hier noch rein", brummt ein korpulenter Mann, der vehement versucht, sich durch die lange Menschenschlange zu drängen, die sich vor der Kasse des Thalia Theaters windet. Als fürchte er, keinen Platz mehr zu ergattern und so diesen außergewöhnlichen Abend zu verpassen. Das Jelinek-Stück "Die Kontrakte des Kaufmanns", das schon länger auf dem Spielplan des Thalia Theater steht, soll an diesem Donnerstag mit "Gastauftritten" von existenzbedrohten Hamburger Kulturschaffenden politisch aktualisiert werden.

Die Stimmung vor dem Theater am Alstertor ist allerdings eher verhalten, wütende Menschen oder wenigstens skandierende Protestler gegen die Sparpolitik des Senats finden sich nicht. Hier und da blitzt ein Button auf: "Wir sind das Schauspielhaus", oder es ragt ein Plakat "Rettet das Altonaer Museum" aus der Zuschauermenge. Zwei junge Frauen haben sich einfach einen Klebestreifen mit dem Schriftzug "Schauspielerin" auf die Jacke geklebt. Bücherhallen-Mitarbeiter verteilen kleine Flyer, auf roten T-Shirts prangt die Aufforderung: "Komm in die Gänge", und ein gelber Kampnagel-Bananen-Luftballon tanzt über den Köpfen.

Bunt ist die Kulturstadt, und alle sind gekommen: "Präsentiert die Vielfalt unserer Kultur!", stand auf der Einladung des Thalia Theaters. Nur der Herr mit der Fliege, Kultursenator Reinhard Stuth (CDU), weilt im Urlaub. Er wäre vermutlich erstaunt, wie gesittet sich die Kulturellen zu benehmen verstehen.

Oder ists die Ruhe vor dem Sturm? Immerhin hat sich das freundliche Delfin-Maskottchen des Deutschen Schauspielhauses auch schon mal in einen Haifisch verwandelt. Von Verwandlung träumt auch Thalia-Intendant Joachim Lux: "Machen wir aus dieser Hydra einen Kraken, der seine Arme in jeden Winkel dieser Stadt ausstreckt, um diese Sparmaßnahmen zu kippen." Vom Wachküssen spricht er - auch aller Hamburger Bürger - wobei es gar nicht um den Protest allein gehe. Nein, viel wichtiger sei es doch, dass nicht jede Kulturinstitution nur "um sich selbst kreise". Die Krise als Chance zur Solidarität und gegenseitigem Respekt.

Dann setzt das tollkühne Dirigat des Spielleiters Nicolas Stemann auf der Bühne eine vierstündige, anarchische Jelinek-Textumsetzungsmaschinerie des Stücks "Die Kontrakte des Kaufmanns" in Gang, deren Rädchen nun nicht mehr nur aus der originalen Schauspieler-Besetzung bestehen: Mitarbeiterinnen des von der Schließung bedrohten Altonaer Museums, Ensemblemitglieder des Deutschen Schauspielhauses, Simone Young von der Staatsoper, Choreograph John Neumeier, das Gänge-Viertel, Rocko Schamoni vom Studio Braun und Bücherhallen-Mitarbeiter - alles Betroffene der Sparbeschlüsse des Senats. Alle arbeiten sich fast unberechenbar und ins Rauschhafte steigernd an der Jelinekschen, ins Absurde trudelnden Wirtschaftskomödie ab, deren Sujet von der Wirklichkeit, so Stemann, geklaut wurde: "Es geht nicht nur ums Geld, aber es ist alle."

"Deutsche subventionierte Bühnen verbrennen das Geld", brüllt der zum Senator Stuth mutierte Regisseur Stemann. Und siehe da: Es wird verbrannt - live in einem subventionierten Theater. Und dann tanzt der Politadel ekstatisch im Takt der Geldpressmaschine. "Hey, Stuth", singen die Akteure in Beatles-Manier, "mach es besser." Standing Ovations.

Später ziehen mehrere hundert Leute vom Thalia Theater in die Kantine des Schauspielhauses: Die "Haifischbar" wird eröffnet. Und ihre Laternen und Kerzen erleuchten in dieser Nacht die Innenstadt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.