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Hausbesetzung als bürgerliche Geste

Die Wohlfühl-Variante der Hafenstraße: In Hamburg haben junge Künstler leere Häuser im Gängeviertel besetzt und alle sind dafür. Tim Ackermann traf den Schirmherrn der Besetzer, Daniel Richter

Tut mir leid, das ist keine Hausbesetzung. Das ist eine Hausbesichtigung. Tausende Schaulustige bummelten am vergangenen Wochenende durch die maroden Straßenzüge des Hamburger Gängeviertels. Moderne Patchworkfamilien und Senioren begutachteten die Kunstausstellung in den Altbauhäusern, als ginge es insgeheim darum, schon mal den Platz für die Schrankwand auszumessen. Dabei ist das Gebäudeensemble nur vorläufig vor dem Abriss bewahrt - gerettet von einer Schar aufrechter Künstler, die sich unter der "Schirmherrschaft" des Hamburger Malers Daniel Richter dem Investorenwillen entgegenstellen. Mit einer Hausbesetzung als Happening. Ohne Polizei, dafür mit ausgefallener Installationskunst, bunten Plakaten, guten Gesprächen und lauwarmem Bier für zwei Euro. In der Ecke tanzten einige Rastamädchen barfuß. Allerdings nicht zu Rio Reiser. Der Herzschlag pulsierte im Einklang mit tempoarmer elektronischer Tanzmusik. Das ist Hafenstraße light.

Im Atelier von Daniel Richter in Berlin: Der Künstler ist gut aufgelegt, kommt gerade aus Salzburg. Er soll ein Bühnenbild entwerfen. Richter hat eine Kanne Tee aufgebrüht. Getrunken wird aus Schnapsgläsern. Die erste Frage. "Was bedeutet ,Schirmherrschaft'"? Das Wort klingt so bundespräsidentenhaft ..."

"Sehr richtig. Ich mache das wie Horst Köhler und breite den schwachen Mantel der Akzeptanz, den ich im bürgerlichen Leben genieße, über diese absolut gerechtfertigte Aktion."

Die Besetzer protestieren aus zwei Gründen: Zum einen fürchten sie, dass der niederländische Investor Hanzevest zumindest einen Teil der Altbauten abreißt, um neue Büround Wohngebäude zu errichten. Zum anderen beklagt die Initiative "Komm in die Gänge", dass es in der Stadt zu wenige bezahlbare Atelierräume gebe. Hamburg müsse auch mal was für die Künstler tun, sagt Richter. "Die Stadt wirbt ja ständig mit ihrer Kulturszene."

Der Maler war am vergangenen Wochenende bei den Besetzern, ist ein paar Mal durch die Höfe gelaufen. "Eigentlich ist meine Funktion erfüllt, ich habe meinen Namen hergegeben, mache jetzt noch ein bisschen Politik, prima", sagt er. Die Künstler dürfen erst mal übergangsweise im Gängeviertel bleiben, die Stadt wälzt derweil die Grundbücher auf der Suche nach alternativen Atelierflächen.

Ist das noch eine Hausbesetzung oder nur noch das Zitat einer Hausbesetzung?

"Zu einer richtigen Hausbesetzung gehört natürlich ein Räumeinsatz der Polizei", sagt Richter, der die Hafenstraßen-Häuser noch von innen kannte. "Und dann brauchen wir vermummte Besetzer, die rufen: ,Ihr kriegt uns hier nicht raus!'" Aber eigentlich hat er schon lange keine Lust mehr auf die Autonomen- Posen und ist auch ganz froh, dass die nachwachsende Generation andere, wenn auch kuscheligere Protestformen gefunden hat. Und wenn man sich die Menschen so anschaut, die am Wochenende ins Gängeviertel spazierten, dann scheint es ja irgendwie auch Konsens zu sein, dass man auf einen neuen voll verglasten Büroturm gerade gut verzichten kann.

Irgendwie paradox: Erst verkauft die Stadt das Gängeviertel und jetzt scheinen plötzlich alle dagegen. "In Hamburg bejammert man, dass die alte Substanz weggehauen wird. Aber man versteht auch, dass es eine Rendite geben muss und dass man mit einem Neubau einfach mehr Geld verdient." Das sei Kaufmannssinn in seiner übelsten Ausprägung. Und sowieso: diese modernen öden Klinkerwohnblöcke mit Holzverschalung und Zierpalme, die überall aus dem Boden schießen. "Wer will denn in dieser Schickimicki-Ikea-Version von sozialem Wohnungsbau leben?" Er jedenfalls will es nicht.

Es ist noch ungewohnt, dass sich das raumgreifende Anliegen der Hausbesetzer mit einer durchaus als konservativ zu bezeichnenden Wertschätzung für die guten alten Dinge vermischt - "Manufactum ist wahrscheinlich auch so ein zur Ideologie geronnener Geschmack", sagt Richter und schenkt ein wenig Tee nach -, der Zeitgeist ist eben so. Es ist ja auch vernünftig. "Warum soll ich mir eine Fertigpizza aufwärmen, wenn ich schon etwas Leckeres zu essen habe", fragt Richter. "Warum will Hamburg in der Hafencity eine heterogene Bewohnerstruktur künstlich implantieren, die wir im Gängeviertel vor den Entmietungen bereits hatten?"

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Man könnte sich zwischendurch noch mal an das besetzte Berlin-Kreuzberg der 70er- und 80er-Jahre erinnern. Es muss den bürgerlichen Schichten damals sehr gelegen gekommen sein, dass ein paar Freaks den Schädel hinhielten und so eines der schlimmsten Stadtumbauprojekte verhinderten, bei dem das Stadtviertel von Autobahntrassen zerschnitten und mit Wohnsilos vollgestellt worden wäre. In die vor dem Abriss geretteten Altbauten zogen nach der Wende Studienräte und Rechtsanwälte gerne ein. Im Falle des Gängeviertels scheint die Sache anders: Die sanfte Besetzung der Mittelstandskinder unter der Patronage eines arrivierten Kunstprofessors - Richter lehrt in Wien - wirkt im Vergleich weniger wie ein linkes und eher schon wie ein konservatives Projekt. Fast scheint es, als könnte Hausbesetzung eine neue politische Strategie der bürgerlichen Mitte werden.

"Ich denke eher, wir haben hier eine besondere Situation", sagt Richter. "Es wird sicher nicht so sein, dass bei jeder Hausbesetzung ein Kunstprofessor als Flaggschiff vorgeschoben wird und am nächsten Tag ruft die Kultursenatorin an und will verhandeln.

Er sieht sich also nicht als Vorbild einer neuen Protestkultur - als Staatsdiener, der zur Gesetzesuntreue aufruft?

"Der Staatsdiener ist mir scheißegal", sagt Richter. "Man kann mir vorwerfen, dass ich darüber nicht nachgedacht habe. Aber ich habe wirklich nicht eine Minute daran gedacht. Ich finde die Idee richtig und habe mich gerne an der Aktion beteiligt. Ich hoffte, es würde lokalpolitisch ein paar Wellen schlagen. Dass ein solches Buhei daraus wird, hat keiner geahnt." Er wird jetzt ständig zu Talkshows eingeladen. Er will aber nicht.

Das gesteigerte Interesse hat mit seiner Biografie zu tun. Richter kehrt mit der Gängeviertel-Aktion zu seinem Ursprungsmythos zurück. Der Autonome, der Punkfan, der beredte Linke. "Vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer" schrieben sie etwas süffisant, als er zum gefeierten Malerstar aufstieg und die Sammler sechsstellige Preise für seine Bilder bezahlten. Ist da nicht der Gängeviertel-Protest die logische Pointe der Entwicklung - "Vom Hausbesitzer zum Hausbesetzer"? Das sei ihm ja auch erst gestern aufgefallen, sagt Richter. Ein Freund habe ihn angerufen, was denn das jetzt für ein Comeback sei. "Ich hab gesagt: ,Du findest mich nicht mit einer Hasskappe auf den Barrikaden, sondern in Salzburg in der Oper.'"

"In seiner Kunst hat der Künstler immer wieder Verweise auf seine linke Vergangenheit eingeflochten. Die Besetzer-Schirmherrschaft muss der Marke "Daniel Richter" also durchaus genützt haben. "Es stimmt, wenn man darunter einen Distinktionsgewinn bei einer Klientel versteht, der ich mich verpflichtet fühle - was nicht unbedingt die Klientel bedeuten muss, die meine Bilder kauft", sagt der Künstler. "Allerdings hat der Vorwurf der Selbstinszenierung etwas Denunziatorisches und Selbstzufriedenes derer, die ihn im Munde führen." Gerade bei Künstlern sei das oft sehr unfair, weil die Situation, in der diese handeln und teilweise handeln müssen, eben auf so etwas wie Distinktionsgewinn oder Ökonomie reduziert werde. "Ich glaube, man wird den Künstlern so nicht gerecht", sagt er.

Die Frage ist, was passiert, wenn der Besetzertraum wahr würde. Was, wenn Investor Hanzevest keine Unternehmen findet, die in seine Büros einziehen wollen, er den Abriss nicht finanzieren kann und die Häuser an die Stadt zurückfallen? Was, wenn die Stadt die Künstler dort dauerhaft arbeiten ließe und noch ein bisschen Geld über dem Areal ausschüttet? Entstünde dann nicht ein grauenvolles Künstlerbiotop, das wie das Tacheles in Berlin von Touristen überrannt und als authentisches Überbleibsel einer radikalen, bunten, linken Protestkultur missverstanden würde? "Das Risiko besteht", sagt Richter. "Aber ein Versuch ist es wert."

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