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Gentrifizierung: Luxusquartier an der Reeperbahn

Foto: DDP

Gentrifizierung in Hamburg Alster, Michel, Protest

Eine breite Front von Künstlern und Aktivisten wehrt sich in Hamburg gegen Luxusquartiere, Abriss von Altbauten und Vertreibung Unterprivilegierter aus dem Zentrum - selbst das Bürgertum hat sein Herz für Hausbesetzer entdeckt. Die Politik reagiert ratlos.

Auf den ersten Blick gar nicht so unsympathisch: Die Standortfaktoren heißen Homosexualität und Pop. "Städte ohne Schwule und Rockbands verlieren das Rennen um die wirtschaftliche Weiterentwicklung" schreibt der amerikanische Ökonom Richard Florida - denn nur diejenigen Metropolen prosperieren, meint er, in denen sich auch die Kreativen wohl fühlen. Kein Wunder, dass die in Hamburg mitregierende Grün-Alternative Liste (GAL) dort bereits das Motto "Kreative Stadt" ausgegeben hat.

Gentrifizierung

Nun aber haben sich genau jene Kreativen gegen die herrschende Politik gewandt: "Not In Our Name Marke Hamburg" heißt ihr Manifest. Zu den Verfassern gehören der Schauspieler Peter Lohmeyer, Ted Gaier, Musiker bei den Goldenen Zitronen, und Rocko Schamoni, erfolgreicher Romanautor und seit Jahren eine der Zentralfiguren des Kiez-Undergrounds. Zusammen mit rund 260 weiteren Erstunterzeichnern wehren sie sich gegen eine Vereinnahmung durch Regierende und Marketing: "Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedlungsgebiet für die kreative Klasse zu werden. Es geht darum, ein bestimmtes Bild in die Welt zu setzen: Das Bild von der pulsierenden Metropole." Dieses Bild aber sei, so die Autoren, lediglich ein Mittel zum Zweck: "Kultur soll zum Ornament einer Turbo- werden."

Das Manifest ist nicht das einzige Zeichen des Protests, der sich in der Stadt derzeit auf ungewohnt breiter Front rührt: Eine Gruppe von rund 200 Künstlern besetzte im August 2009 das historische Gängeviertel, im Stadtteil Altona versucht eine Initiative die Eröffnung eines Ikea-Möbelhauses in der Fußgängerzone zu verhindern und fordert, die Atelierflächen im Gebäude zu erhalten. Auf St. Pauli wehren sich Anwohner gegen ein geplantes Luxusquartier inmitten des bestehenden Altbau-Kiezes.

Stadt für Besserverdienende

Eine Gruppe von Medienmachern kaperte gar die vierteljährlich erscheinende, normalerweise überregionalen Blättern wie der "Süddeutschen Zeitung" beiliegende Marketing-Illustrierte "Hamburg" und brachte eine gefälschte Ausgabe unters Volk. Titelzeile: "Unter Geiern. Wie Hamburgs Politiker die Stadt verkaufen."

Im Editorial heißt es: "Wir möchten sie nicht mehr ausklammern, die soziale Frage. Es wird Zeit, dass Politiker aufhören, Leitlinien zu befolgen, die sich Unternehmensberater ausgedacht haben. Das führt zu einer Stadt, auf die nur noch Besserverdienende ein Recht haben." Doch anders als es das Klischee will, gibt es in der Hansestadt keineswegs nur Barbourjackenträger und Porschefahrer. Die Macher von "Unter Geiern" rechnen vor: "In Hamburg leben doppelt so viele Kinder von Sozialhilfe wie in anderen westdeutschen Städten."

Ähnlich argumentieren die Verfasser des Manifests "Not In Our Name": Die Stadt, wie sie sich derzeit entwickelt, sei kein "widerspruchsfreies, sozial befriedetes Phantasialand", sondern "in Wahrheit die segregierte Stadt wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb." Denn während auf der einen Seite "exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shoppingkiez" entstünden, sei es auf der anderen Seite, so die Autoren des Manifests, "zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Proberäume zu finden" - oder auch nur ein WG-Zimmer in einem Innenstadtviertel für unter 450 Euro.

Das allerdings macht die Stadt für Makler gerade so attraktiv: Am Donnerstag gab die regionale Sektion des Immobilienverbands Deutschland (IVD) mit sichtbarer Genugtuung bekannt: Hamburg ist neben München die einzige deutsche Großstadt, in der die Immobilienpreise zuletzt nicht gefallen sind.

Ungewohnt breite Front

Auch deshalb könnte das Manifest einen Nerv in der Stadt getroffenen haben: Binnen weniger Tage verzehnfachte sich die Zahl der Unterzeichner nach Angaben der Initiatoren auf über 2600 Leute.

Selbst Ole von Beust, der CDU-Bürgermeister Hamburgs, hatte nach der Bundestagswahl eine in der Stadt vorherrschende "linksliberale Strömung" eingestanden - dabei hatte in den Jahren seit seiner Amtsübernahme im Herbst 2001 eine Art politisch-kultureller Friedhofsruhe geherrscht. Viele Künstler und Kreative wanderten nach Berlin ab, die zahlreichen Hamburger Linken und Linksliberalen zogen sich zurück oder verzettelten sich in Kleinstgefechten. Nun aber hat sich, scheinbar aus dem Nichts, eine breite Front gebildet - konnte die CDU vor einigen Jahren noch mit dem Slogan "Alster, Michel, Ole" werben, gilt heute: Alster, Michel, Protest.

Am Donnerstag beschäftigten sich die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft in einer aktuellen Stunde mit den außerparlamentarischen Protestströmungen - dort zeigte sich: Die Politik weiß noch nicht, wie sie sich verhalten soll angesichts des unvermutet ausgebrochenen Bürgergeists in einer Stadt, in der über Jahre Kaufleute den Ton angaben.

Die lange Zeit nur in akademischen Zirkeln geübte Kritik an der sogenannten Gentrifizierung, der Aufwertung von Stadtteilen zu Lasten der Armen, hat eine breite Öffentlichkeit erfasst - und das ohne die traditionellen Mittel politischen Handelns, ohne Großdemonstrationen, Medienkampagnen oder unterstützende Parteien.

"Ein Stück weit konservativ"

Besondere Bedeutung kommt dabei in Hamburg dem Gängeviertel zu. Dabei handelt es sich um den letzten Rest der alten Arbeiterquartiere in der Innenstadt. Der niederländische Investor Hanzevest möchte das zwölf denkmalwürdige Gebäude umfassende Ensemble größtenteils abreißen oder entkernen und mit Büro- und Wohnblöcken neu bebauen lassen.

Zwar haben die Hamburger traditionell nichts mit Tradition am Hut, und der Abriss des historischen Doms im Jahr 1804 gilt nicht ohne Grund als einer der aussagekräftigsten Momente der Stadtgeschichte - doch das putzige Gängeviertel im Schatten der für die Hamburger City mittlerweile typischen Stahl- und Glasarchitektur rührt die Gemüter auch bürgerlicher Kreise bis hin zur Unions-nahen, Hausbesetzern wenig wohlgesinnten Springer-Presse: "Der Senat hat seinen politischen Instinkt verloren", konstatierte die "Welt am Sonntag", das "Hamburger Abendblatt" lobte gar die "friedliche und freundliche Aktion" der Besetzer. 15.000 Besucher waren nach Angaben der Aktionisten bereits zu Gast bei den Ausstellungen und Kunstaktionen auf dem Gelände.

Die Kultursenatorin Karin von Welck, eine sich liebenswert gebende, ältere Dame, schaute persönlich im besetzten Komplex vorbei - es dürfte ihr erster Kontakt mit einer illegalen Aktion gewesen sein. Christine Ebeling, Sprecherin des Projekts "Komm in die Gänge", erklärt sich die Sympathien des Hamburger Bürgertums so: "Wir sind ein Stück weit konservativ. Wir wollen was erhalten." Nun läge es am Hamburger Senat, den Vertrag mit dem Investor rückabzuwickeln.

Rohmilchkäse und Kapitalismus

Tatsächlich sind einige der Hamburger Altbauquartiere in den sechziger und siebziger Jahren von Initiativen vor dem geplanten weitgehenden Abriss gerettet worden - heute werden gerade diese Wohnungen teuer vermietet. Der Begriff Gentrifizierung wurde trotzdem lange belächelt; stand er in den zu besseren Wohnlagen mutierten ehemaligen Alternativvierteln doch eher für eine bessere Rohmilchkäse-Auswahl als für den Schrecken des ungezügelten Kapitalismus.

Auf St. Pauli zeigt nun das Projekt "Bernhard-Nocht-Quartier" (BNQ) , wohin ungebremste Gentrifizierung im Extremfall führen kann: Beinahe ein ganzer Altbau-Block soll abgerissen und durch 80 Luxuswohnungen ersetzt werden. Die orientieren sich architektonisch eher am Stil des an der Elbe entstehenden Besserverdienenden-Viertels Hafencity als am Kiez: "Diese Investorenarchitektur wäre ein wesentlicher Dominostein in der Gentrifizierung, der Charakter von St. Pauli würde sich total verändern" , meint Christoph Schäfer von der Initiative "No BNQ".

"Die Künstler sind nicht unser Problem"

Bereits im Frühjahr 2009 hatte der Dokumentarfilm "Empire St. Pauli" vorgeführt, wie der einstige Alki- und Schmuddel-Bezirk rund um die Reeperbahn von Investoren als, wie es im Maklerdeutsch heißt, "Sahnelage" erschlossen wird und dabei seine Freiräume verliert - offenbar soll hier die Luxuslücke zwischen Hafencity und Elbchaussee geschlossen werden. Noch hat der zuständige Bezirk Mitte die Baugenehmigung für das BNQ nicht erteilt.

Auch über den Bau der ersten deutschen Innenstadtfiliale von Ikea in Hamburg-Altona ist nicht endgültig entschieden: "Wir kommen nicht gegen Widerstand und auch nicht, wenn sich Dauerproteste abzeichnen" meint eine Sprecherin des Unternehmens. Die Initiative gegen die Ikea-Ansiedlung fordert auf Plakaten derweil: "Hafencity beleben - Ikea auf die Elbphilharmonie" und meint damit den kulturellen Vorzeigebau der Stararchitekten Herzog & de Meuron, den sich die Stadt über 320 Millionen Euro Kosten lässt.

Die Architekten, Designer und Künstler, die sich in Altona im derzeit noch stehenden Vorgängerbauwerk provisorisch eingerichtet haben, hält das schwedische Unternehmen offenbar, anders als Stadtmarketingleute und Soziologen, für keinen positiven Standortfaktor, sondern für ein Hindernis: "Die Künstler sind nicht unser Problem, sondern Sache des Bezirksamtes."

Ginge es nach den Vorstellungen der Hamburger Stadtplaner, würden die Leute wohl nach Wilhelmsburg umgetopft - das Unterschichtsviertel, in dem Studenten und Kreative die Vorhut der Aufwertung übernehmen sollen. Bis in einigen Jahren auch dort die Makler anrücken.