In den Hamburger Gängen

Häuserkampf III Der Protest gegen den Verkauf des Gängeviertels hat gezeigt, dass Widerstand sich lohnt. Droht nun aber doch das Aus?
Ausgabe 42/2014

Die Besetzung des Gängeviertels im August 2009 war keine Nacht- und Nebelaktion. Mit Luftballons, Kaffee und Kuchen feierten 200 Künstler ihren Einzug in das verlassene Arbeiterquartier als Hoffest. „Wir wollten von Anfang an Öffentlichkeit schaffen und die Leute einladen“, sagt Christine Ebeling von der Initiative Gängeviertel. „Zu einer Besetzung einzuladen wäre schwierig gewesen, die Polizei wäre auch direkt gekommen.“

Die verwinkelten Gassen und engen Fachwerkhäuser mitten in der Hamburger Innenstadt boten bis ins 19. Jahrhundert vor allem mittellosen Gesellschaftsschichten Obdach. Nach und nach aber mussten die Gebäude im 20. Jahrhundert den Veränderungen in der Innenstadt weichen, bis zuletzt nur noch zwölf der ursprünglichen Häuser standen – vom Abriss bedroht. Dann wollte die Stadt den Komplex an einen niederländischen Investor verkaufen.

Ein Möglichkeitsraum

Hier griff die Initiative „Komm in die Gänge“ ein. Ihre Forderung war der Rückkauf der Gebäude, ihre denkmalgerechte Sanierung und Bewahrung als selbstverwalteter Ort mit kultureller und sozialer Nutzung ohne wirtschaftliche Bedingungen. Dass die Stadt diesen Forderungen nachkommen würde, damit rechnete im August 2009 kaum jemand. Kein Grund, nicht trotzdem Druck zu machen. Durch die Unterstützung zahlreicher Bürger und dank eines Planungskonzepts gelang der Initiative ein bundesweites Medienecho. Die Stadt reagierte. Im Dezember 2009 kaufte sie die Gebäude zurück und signalisierte einen mit der Initiative einvernehmlich abzuwickelnden Prozess. Im September 2011 unterschrieben beide Seiten nach langen Verhandlungen einen Kooperationsvertrag.

Seitdem hat die Initiative Gängeviertel einiges dafür getan, ihre Vision zu realisieren. Es gibt Tanzabende für Rentner, einen Jugendkongress, Flohmärkte, Kinoabende und Yogakurse sowie ein reges Kultur- und Partykonzept. Einen „Möglichkeitsraum“ nennen die Macher diesen Ort. Bundesweit gilt der Häuserkampf um das Gängeviertel deshalb als Erfolg. Nun aber beginnt genau der bedrohlich zu wackeln.

Zwar finden mittlerweile die ersten Instandsetzungen der Gebäude statt, die Initiative sieht ihre Verhandlungen mit der Stadt aber vom Scheitern bedroht. „Nach wie vor haben wir keine Sicherheit, wie der Verein und die Genossenschaft das Viertel in Zukunft weiterbetreiben können“, sagt Ebeling. Davon aber hängt das Gelingen der Initiative ab. Nur wenn es neben dem geplanten Wohn- und Gewerberaum diesen freien „Möglichkeitsraum“ gibt, ist ihr Ziel erreicht. „Die Prämisse der gegenwärtigen Regierung ist der Wohnungsbau, aber so wichtig das ist, man darf die anderen Aspekte der Stadtentwicklung nicht außer Acht lassen“, sagt Ebeling. Die mangelnde Bereitschaft für Zugeständnisse in Fragen des Gängeviertels zeigt das Desinteresse der Stadt an dem Engagement ihrer Bürger jenseits von Privatisierung und Kommerz. Mehr noch, es beweist ein Unverständnis gegenüber der Notwendigkeit von öffentlich gestaltbarem Raum.

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Geschrieben von

Verena Reygers

Musikfetischistin, Feministin, Blames it on the Boogie

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