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Hamburg Gastkommentar

Neue Trampelpfade in das Denken

Das Kostüm "Metropole" steht Hamburg nicht besonders gut

L iebe Leserinnen, lieber Leser,

gefragt, in der "Welt" einen Gastbeitrag über Hamburg zu schreiben, war mir natürlich klar, dass es ein Artikel über das Gängeviertel sein solle. Es ist viel über die zwölf Häuser am Valentinskamp berichtet worden, "komm in die Gänge" ist nun mehr als ein geflügeltes Wort, und alle, die mehr darüber erfahren wollen, können gerne auf der Internetseite www.das-gaengeviertel.info weiterlesen.

Versuchen wir doch mal, loszulassen von der "Schönen im Norden", viele Worte, viele Leitbilder, viel "Marketingsprech" haben in den vergangenen Jahren versucht, diese Stadt marktschreierisch den kreativen und wissensorientierten Newcomern feilzubieten. Das Prada-Kostüm namens "Metropole" will einfach nicht passen, kneift und steht ihr irgendwie nicht gut, außerdem ist das neue Outfit ganz schön teuer.

Gehen wir mal abseits dieser scheinbar eingeschworenen Wege, versuchen Trampelpfade in das Denken der Stadtplaner, Ökonomen und Politiker zu etablieren, aus denen möglicherweise eines Tages eine Allee werden könnte. Was braucht eine Stadt? Ich denke, das muss jeder Mensch für sich beantworten und vor allem darüber sprechen können, sich austauschen und gemeinschaftlich, im Sinne der Gesellschaft entscheiden können. Dabei ist es natürlich notwendig, Raum und Zeit für diesen Prozess zu haben. Jede Strasse, jedes Viertel braucht Gemeinschaftsräume, ob Wohnzimmer oder Küche, Raum für jeden ohne Konsumzwang, aber mit der Möglichkeit zu geben, was man in der Lage ist zu geben.

Die Stadt ist doch nur die viel zu große Schwester des Dorfes, wer einmal im Ländlichen gereist ist oder gar dort geboren, kennt die Vorzüge und auch die Nachteile des Zusammenlebens. Eines aber ist sicher, man kennt sich, und die Wege sind kurz, Nahversorgung ist gesichert, arbeiten und leben gehen noch zusammen. Natürlich ist alles nicht mehr so wie früher, aber es gibt noch die Gemeinde, das Gemeinwesen und den sozialen Zusammenhalt. Das hat die große Schwester irgendwie vergessen. Soziale Kälte, Vereinsamung, Ausschluss sind die Resultate der Stadt-gesellschaftlichen Nachlässigkeit.

Was hier unterstützend getan werden kann, ist die Möglichkeit des selbst organisierten und bestimmten Lebens. In Hamburg hat dies eigentlich Tradition: Genossenschaften, Wohnprojekte, Hausbesetzung und auf der anderen Seite Stiftungen, Fördervereine und zum Beispiel die Hamburger Tafel, sind nur einige, die diese Stadt zu einem liebenswerten Ort machen. Was aber ist in den vergangenen Jahren geschehen?

Die scheinbare Notwendigkeit, sich seit dem Unternehmen Hamburg nun zu einer international konkurrenzfähigen Megacity zu entwickeln, ist Anlass und Dampframme für Unternehmensberater, Trendforscher und natürlich Architekten und Stadtplaner, der hilflosen Politik Perlenketten und Philharmonien als Rettung aus dem Dilemma anzudrehen. Ganze Stadtteile werden ohne Reife aus dem Boden gestampft, wer dort mal lebt und wie, ist zweitrangig. Die Touristen freut es, vor allem den Kontrast zu dem zu sehen, was die Stadt noch zugelassen hat unter ihrem Tütü, so etwas wie die Schmuddelecken, Pauli, Gängeviertel und, wenn jemand ganz mutig ist, auch die Berceliusstrasse oder die Linse. Kennen Sie nicht? Werden Sie Tourist in Ihrer eigenen Stadt, es ist zwar nicht alles schön, aber wer genau hinsieht, stellt fest, dass dort nicht die Fassaden glänzen, sondern die Augen der Menschen, die dort leben. Vor allem, wenn man ihnen die Aufmerksamkeit zukommen lässt, die sie verdient haben.

Auch, wenn Sie meinen, so was ist hässlich, vergessen Sie nie: Da stecken Menschen drin, das macht den Unterschied zu vielen Gebäuden in Citylage. Anonymität ist der Feind der Authentizität - und das ist, was jede Stadt braucht, ob in ihrem Antlitz und gerade durch ihre Menschen. In Hamburg sagt man Tschüss, das sollte nicht das letzte Wort sein...

Christine Ebeling arbeitet als Künstlerin in Hamburg. Sie ist zudem Sprecherin der Gängeviertel-Initiative

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