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Vermischtes (Print WAMS)

"Mehr Beteiligung ist die Lösung"

Justizsenator Steffen ist überzeugt, dass schnellere Planungsprozesse der Demokratie schaden. Gegen den Trend tritt er für mehr Volksgesetzgebung ein

Hamburg wird immer stärker zur Stadt des bürgerlichen Protests - oft gegen Großvorhaben wie die Schulreform oder die Stadtbahn, zuweilen geht es aber auch nur um den Erhalt einer Häuserzeile. Der Politik bereitet das Probleme - Justizsenator Till Steffen (GAL) macht sich dennoch für mehr direkte Demokratie stark und erklärt, welche Instrumente dabei helfen.

Welt am Sonntag: Viele Politiker, auch aus der GAL, sind versucht die Volksgesetzgebung wieder einzuschränken - erst recht nach der Erfahrung mit der gescheiterten Schulreform. Wäre das nicht sinnvoll?

Steffen: Nein. Es wäre nicht richtig, die Volksgesetzgebung einzuschränken. Man muss dabei einen größeren Zusammenhang herstellen: Häufig wird kritisiert, es ginge nur um Einzelinteressen. Dass diese verfolgt werden, ist Ausdruck unserer gesellschaftlichen Situation. Wir haben nun einmal eine sehr individualisierte Gesellschaft. Man kann es aber auch positiv wenden, wir haben eine Gesellschaft, in der es große Möglichkeiten gibt, selbstbestimmt ein eigenes Leben zu führen. Ich glaube deswegen sogar, dass eine Ausweitung der Beteiligung eher die Lösung als das Problem ist.

Welt am Sonntag: Da haben Sie aber ein positives Verständnis von Partikularinteressen.

Steffen: Sehen Sie: Eine Politik, die versucht, die Partikularinteressen von Entscheidungsprozessen fernzuhalten, wird bei der nächsten Wahl eingeholt werden - und dann vor einem Scherbenhaufen stehen. Deshalb brauchen wir diese Formen der Mitbestimmung, um unsere Gesellschaft, die immer individueller wird, am Ende doch wieder zusammenzubringen. Das gilt nicht nur für das Thema Direkte Demokratie, sondern für politische Beteiligung insgesamt. Das bezieht Bewegungen wie Recht auf Stadt und dem Gängeviertel etwa mit ein.

Welt am Sonntag: Stuttgart 21 ist so ein Beispiel für eine formale, politische Entscheidung, die aber später auf großen Widerstand der Bevölkerung trifft. Wie kann man das besser machen?

Steffen: Das ist ein sehr extremes Beispiel, weil die Dimensionen des Projekts enorm sind und es sehr lange Vorläufe hat. Es ist aber vielleicht ein Hinweis darauf, dass das ständige Bemühen um Abkürzung von Planungsverfahren vielleicht auch in die Irre geht. Wir haben im deutschen Planfeststellungsrecht seit der deutschen Einheit ständige Versuche, Verfahrensschritte abzukürzen, aber dabei gehen auch viele Beteiligungsmöglichkeiten verloren. Es gibt Planfeststellungen, bei denen Bürger Einwendungen erheben, die aber noch nicht abgearbeitet sind, während schon die Bagger rollen.

Welt am Sonntag: Dann müsste es aber zum Beispiel auch einen Volksentscheid über die Einführung einer Stadtbahn geben.

Steffen: Die Konzeption dieses Projekts hat sich seit zwei Jahren nicht wesentlich verändert, deshalb bin ich nicht sicher, ob hier wirklich eine neue Situation entstanden ist. Die Gegenargumente sind bekannt, nach zwei Jahren fangen Bürger dann an, Unterschriften zu sammeln. Die Dimension der Stadtbahn zum Projekt Stuttgart 21 ist übrigens auch kaum zu vergleichen.

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Welt am Sonntag: Ist nicht ein Problem, dass bei der Abstimmung nur überschaubar viele Bürger teilnehmen, wie etwa beim Entscheid über die Schulreform?

Steffen: Auch bei Wahlen beteiligen sich nicht alle gleichermaßen. Da gibt es ein grundlegendes Problem: Wenn man in einem Volksentscheid eine Entscheidung trifft, dann ist man aufgefordert, anders zu entscheiden, als wenn man nur für sich selbst entscheiden würde. So wie Eigentum verpflichtet, legt auch Wissen und Können den Bürgern Verpflichtungen auf. Wenn nicht nur Politiker entscheiden, sondern auch Bürger, müssen die gleichen Maßstäbe an Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit wie bei Politikern angelegt werden. Das Verhalten, was man als Bürger für die Gestaltung des eigenen Lebens an den Tag legt, muss sich eventuell unterscheiden von dem Verhalten in solchen Prozessen. Da fehlt es manchen an Ernsthaftigkeit im Auftreten.

Welt am Sonntag: Was heißt das konkret?

Steffen: Es unterschreiben für den Erhalt des Altonaer Museums spontan mehr Menschen, als bereit sind, dort in einem Jahr hinzugehen. Da muss man sich doch fragen, ob das ernst gemeint ist. Aber auch Politik sollte in der Lage sein, ernsthaft einen Diskurs zu führen und daraus zu lernen.

Welt am Sonntag: Auf beiden Seiten einen vernünftigen Diskussionsstil hinzubekommen, sollte in einem Stadtstaat gelingen. Wenn nun einer der Vordenker der Schulreform-Gegner, Herr Scheuerl, mit einer eigenen Partei auftreten würde, was halten Sie davon?

Steffen: Das wäre ein ganz normaler Prozess. Parteien leben aber normalerweise von fester geprägten Grundüberzeugungen. Ansonsten sind sie nicht stabil genug. Herr Scheuerl lebt nur aus dem Reflex, wogegen er ist. Die Erfahrungen lehren, dass dies keine dauerhaften Gründungen sind.

Welt am Sonntag: Haben Sie konkrete Ansätze, um die Volksgesetzgebung auszubauen?

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Steffen: Ich glaube, man muss die Debatte verbreitern. Ein Volks- oder Bürgerentscheid steht als letztes Mittel zur Verfügung. Bei einigen Entscheidungen ging der Diskussionsprozess vorher nicht weit genug. Da gibt es Schwächen auf beiden Seiten. Wie transparent entwickelt die Politik eigentlich ihre Planungen? Das Informationsfreiheitsgesetz schafft die rechtliche Grundlage für Behördentransparenz, dem muss aber eine entsprechende Verwaltungskultur folgen. Staatliche Planungsprozesse sind kein Selbstzweck. Die Informationen gehören nicht dem Beamtenapparat, sondern den Bürgern.

Welt am Sonntag: Aber wird das Informationsfreiheitsgesetz eigentlich genutzt?

Steffen: Ja, es wird sehr intensiv genutzt, gerade in der Debatte um die Schulreform zum Beispiel. Aber für viele Planungsprozesse gibt es Nachholbedarf. Wir haben aber aufseiten der Bürgerinitiativen oft eine sehr geschlossene Argumentationsweise. Vor einer Entscheidung rasen dann zwei ungebremste Züge aufeinander zu. Da wäre es sinnvoll, über ein Instrument nachzudenken, das wir bei den Gerichten sehr intensiv gefördert haben: Das Thema Mediation. Auch dort bewegen sich zwei streitende Parteien oft ungebremst aufeinander zu. Ein Mediator kann die Dissenspunkte aufzeigen und Konflikte oft auflösen. Ich habe keine Sorge, wenn über ein Projekt in einem Volksentscheid abgestimmt wird. Ich habe nur Sorge, wenn die Bürger nicht gut genug informiert sind, sei es, weil die Verwaltung vielleicht nicht ganz transparent ist, weil aber auch eine Bürgerinitiative kompromisslos mit Vereinfachungen arbeitet.

Welt am Sonntag: Aber wird es nicht Protest, etwa vonseiten der Wirtschaft, gegen bürgerfreundliche Planungsverfahren geben?

Steffen: Unsere Gesellschaft ist so komplex, weil sie so vielfältig ist. Deshalb brauchen wir auch komplexere Entscheidungsprozesse, um diese Vielfalt abzubilden. Wir brauchen uns nicht mit Shanghai zu vergleichen, wo die Rechte von Bürgern mit Füßen getreten werden. Diese komplexere Gesellschaft ist auch anders in der Lage, auf neue Herausforderungen zu reagieren. Eine Gesellschaft, die mehr als Monokultur organisiert ist, wäre auch anfällig wie eine Monokultur. Eine städtische Gesellschaft wie Hamburg ist aber in der Lage, auch Phasen zu überstehen, wo etwa der Hafen nicht mehr die Lokomotive der Wirtschaft ist.

Interview: Florian Hanauer

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