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Hamburg Fatih Akin

„Den Preis widme ich Hamburg"

"Soul Kitchen" "Soul Kitchen"
Eingespieltes Team mit Spürsinn für gute Geschichten: Regisseur Fatih Akin (l.) und sein Freund, der Schauspieler Adam Bousdoukos
Quelle: Bertold Fabricius/Pressebild.de/Bertold Fabricius
„Soul Kitchen" heißt der neue Film von Fatih Akin. Sein Kumpel Adam Bousdoukos spielt darin die Hauptrolle. Beim Festival in Venedig wurde die Komödie über eine Wilhelmsburger Kneipe und ihren deutsch-griechischen Wirt mit dem Spezialpreis der Jury geehrt. Ein Gespräch über Freundschaft, Hamburg und die Entstehung des Films.

WELT ONLINE: „Soul Kitchen“ wurde gerade in Venedig mit dem Spezialpreis geehrt. Das ist umso bemerkenswerter, als Komödien nicht unbedingt zu den Lieblingsgenres großer Festival-Jurys zählen. Was freut Sie daran besonders?

Fatih Akin: Mich freut daran ganz besonders, dass ich einen Preis dafür bekommen habe, dass ich meinem Herzen gefolgt bin. Ich war mir sehr unsicher, ob ich diesen Film überhaupt machen soll. Ich habe lange gehadert, wir haben so lange daran rumgeschnippelt. Ich hatte einfach Schiss davor, was die Leute von mir, dem Autorenfilmer denken, wenn ich mit so einer rotzigen Komödie daherkomme. Dann haben wir „Soul Kitchen“ einfach gemacht. Ich glaube, die Jury hat mit dem Preis unseren Mut geadelt. Den Mut, nach all den ernsten Filmen eine Komödie zu machen. Ein Film, der die Menschen zum Lachen bringen soll.

WELT ONLINE: Wem widmen Sie den Preis?

Akin: Wir widmen diesen Preis Monica Bleibtreu. Ich bin froh, dass wir sie mit „Soul Kitchen“ noch ein letztes Mal auf Zelluloid einfangen konnten. Ich widme diesen Preis aber auch Hamburg, meiner Stadt, meiner Heimat!

WELT ONLINE: Die Präsenz des deutschen Films in Venedig war stark, und dass gleich zwei deutsche Beiträge ausgezeichnet wurden, kommt einer Sensation gleich. Von der Sternstunde des deutschen Films war schnell die Rede – berechtigt oder voreilig?

Akin: Jedes Land versucht immer, einen Erfolg einzulanden. Das ist in Ordnung. Wir leben in einer globalisierten Welt, Ländergrenzen lösen sich auf. Gelder fließen von hier nach dort. Es kommt immer auch darauf an, wie viel Deutschland in einem Film tatsächlich steckt. „Soul Kitchen“ ist ein deutscher Film, weil er in Deutschland spielt. Aber ich mache mir nichts aus Nationalitäten. Ich mache mir was aus guten Filmen.

WELT ONLINE: In „Soul Kitchen“ gibt es zahlreiche Parallelen zu Adams Lebensgeschichte, der ja neben der Schauspielerei auch als Gastronom in Hamburg gearbeitet hat. Wie kam es zu dem Drehbuch?

Akin: Das ist eigentlich alles sehr banal entstanden. Ich habe damals gerade ein neues Textprogramm auf meinen Computer gespielt bekommen. Ich wollte wissen, wie es funktioniert. Ohne Vision, ohne Idee habe ich drauflos geschrieben.

Adam Bousdoukos: Das war zu einem Zeitpunkt, als meine damalige Freundin mich verlassen hatte, alles ziemlich drunter und drüber ging in meinem Leben. Fatih bekam das natürlich mit.

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Akin: Ich nahm das zum Anlass, um seine Geschichte aufzuschreiben, ich habe einfach so rum gejammt mit dem neuen Programm. Gleich am ersten Tag hatte ich 20 Drehbuchseiten geschrieben. Nach fünf Tagen lag die erste Fassung vor. Ich gab sie meinem Partner, Andreas Thiel, der heute nicht mehr unter uns weilt (Andreas Thiel, Teilhaber an Akins Produktionsfirma Corazon International, starb 2006 kurz vor Ende der Dreharbeiten von „Auf der anderen Seite“ in Istanbul, Anm. d. Redaktion). Er las es und sagte: „Lass uns daraus einen Film machen!“

WELT ONLINE: Dann bekamen Sie den Goldenen Bären für „Gegen die Wand“ und wurden ein international gefragter Filmemacher?…

Akin: Ja, genau. Ein Filmemacher, der ernste, der politische Filme macht, machen sollte, dachte ich so. Auf einmal erschien mir das Projekt als nicht mehr wichtig genug. Ich dachte, ich müsste etwas Ernsthafteres, Großartigeres nachlegen. Aber Andreas hat immer gesagt „Ist doch scheißegal, was die Leute sagen. Mach das trotzdem!“ Und dann starb Andreas. Durch seinen Tod veränderte sich mein ganzes Weltbild – auch, was das Filmemachen angeht. Mir wurde bewusst, dass man Filme in erster Linie für sich selbst machen sollte. Man sollte immer das machen, worauf man selbst Bock hat.

WELT ONLINE: Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?

Bousdoukos: Ich kann mich daran erinnern, dass ich aufs Gymnasium kam und dass es da so einen Verrückten in der Parallelklasse gab, der im Klassenzimmer „Ghost Busters“-Plakate aufgehängt hatte und so. Das fand ich eigentlich immer ganz cool. In der Siebten wurden wir Tischnachbarn, und die ganze Sache eskalierte, weil wir im Unterricht Filmszenen nachgespielt haben, vor allem aus „Rocky“, und wir haben mit Strichmännchen erste eigene Drehbücher geschrieben, na ja besser gemalt (beide lachen).

Akin: Adam konnte Fingerballett. Er hat mit seinen Fingern Sirtaki nachgetanzt. Das ist das Lustigste, was ich je gesehen habe!

WELT ONLINE: Der Film spielt in Hamburg. Gedreht wurde an Orten, die sich im Umbruch befinden, Orte, die abgerissen werden. Warum haben Sie ausgerechnet dort gedreht?

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Akin: Wir haben Orte gewählt, von denen wir wussten, dass es sie bald nicht mehr geben wird. Die Sternbrücke, das Parkplatzdeck des Altonaer Karstadt-Gebäudes. Wir wollten diese Orte festhalten, damit wir später mit unseren Kindern im Film dorthin zurückreisen können.

WELT ONLINE: Viele Szenen von „Soul Kitchen“ spielen nahe des Gängeviertels, das aktuell ein Ort des Protests ist. Künstler besetzten die alten Gebäude und wehren sich dagegen, sie für Bürobauten abzureißen. Wie stehen Sie dazu?

Akin: Ja, das ist eine interessante Entwicklung. Ich finde, es ist ein Beispiel dafür, dass sich die Stadt Hamburg an seinem Erbe vergeht. Ich fühle mich den Besetzern verbunden, ich verbrüdere mich mit ihnen. Wenn ich sie schon nicht physisch unterstützen kann, dann im Geiste. Wenn ich für „Soul Kitchen“ werbe, werbe ich immer auch für die Denkmäler dieser Stadt mit. Hamburg wird nie eine Weltstadt werden. Du kannst nur eine Weltstadt sein, wenn du Respekt hast vor der Vergangenheit. Wenn man Dinge abreißt wegen des schnellen Geldes, machst du die Stadt nicht nur hässlich, sondern vor allem provinziell.

WELT ONLINE: Eine Botschaft des Films ist, dass man das Wertvolle, das Schöne, das einen umgibt, schätzen sollte.

Akin: Der Film handelt von Heimat, nicht im örtlichen, geografischen Sinn, sondern Heimat als Zustand. Und vor allem davon, dass man diesen Zustand erst richtig zu schätzen weiß, wenn man ihn verliert. Eigentlich ist „Soul Kitchen“ eine Würdigung meiner Heimat, eine Hommage an Hamburg. Es ist der Film, den ich der Stadt noch schuldig war. Und es ist ein Film, den ich mir selber schuldig war. Vor allem aber war ich ihm den Film schuldig (schaut Adam an).

WELT ONLINE: Der Film handelt auch von echten und falschen Freundschaften. Was macht Ihre Freundschaft aus?

Bousdoukos: Vertrauen. Wir vertrauen uns blind. Es gibt unausgesprochene Gesetze zwischen uns. Wenn man so ein Fundament gefunden hat, dann baut man immer weiter darauf auf. Loyalität bedeutet, hinter jemandem zu stehen, jederzeit, ihm auch die Meinung zu geigen, wenn’s nötig ist, aber trotzdem immer da zu sein.

Akin: Ich habe viele sehr enge Freunde gehabt in der Vergangenheit, die ich heute noch mag, aber man hat sich auseinander gelebt. Ich weiß manchmal gar nicht, wem ich zuhören soll und wem nicht. Die Leute reden so viel über einen, und man weiß gar nicht, warum sagt der das? Will der mich verunsichern, provozieren, verletzen oder hat er Recht? Wenn Adam mir was sagt, weiß ich, dass ich zuhören muss. Weil, wenn Adam was sagt, dann stimmt das meistens auch. Er will mir immer nur helfen. Er ist der Grund, warum ich bis jetzt noch keinen Therapeuten gebraucht habe.

WELT ONLINE: Dabei heißt es ja: „Arbeite nie mit einem Freund zusammen“. Wurde Ihre Freundschaft bei den Dreharbeiten auf eine Probe gestellt?

Bousdoukos: Absolut. In all den Jahren war dieser Film definitiv die größte Herausforderung für unsere Freundschaft. Ich glaube trotzdem daran, dass Freunde zusammen arbeiten können – aber nur, wenn die Arbeitsbereiche ganz klar definiert sind. Bei „Soul Kitchen“ war das für mich ganz klar: Ich bin der Schauspieler, Fatih ist der Regisseur, er hat das ganze Millionenprojekt zu verantworten, am Ende werde ich also meinen Mund halten.

Akin: Vielleicht waren auch all die Jahre nötig, damit wir uns diesen Wahnsinn getraut haben.

Das Gespräch führte Eva Eusterhus

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