Hamburger Gängeviertel

Durch Kunst keine Räumung

Drei Frauen laufen nebeneinander durch einen allerlei buten Gegenständen bestückten Hof, rundherum Altbauten.
Drei Künstlerinnen des Hamburger Gängeviertel im August 2012 in der Schiers Passage © picture alliance / dpa / Angelika Warmuth
Von Axel Schröder · 13.11.2015
Aus Protest gegen Abrisspläne und steigende Mieten haben vor sechs Jahren rund 200 Künstler historische Häuser im Gängeviertel in der Hamburger Innenstadt besetzt. Dass sie bis heute dort sind, verdanken sie ihren Kunstwerken.
Ein abgewracktes Fabrikgebäude mitten in Hamburg. Rote Ziegelsteine, vollgekritzelte Wände, ein zerschlissener Holzfußboden. Die "Fabrik" ist das Herzstück des Hamburger Gängeviertels. Im Sommer 2009 besetzten 200 Künstler hier zwölf baufällige Häuser, die letzten noch nicht abgerissenen Häuser im Quartier. Drei Wochen nach der Besetzung erklärte Christine Ebeling, eine der Sprecherinnen der Aktivisten: Eigentlich war die Aktion für einen, vielleicht zwei Tage geplant. Dann rechneten sie mit der Räumung, die aber einfach ausfiel. Die Verwalter der Häuser, die städtischen Unternehmen SAGA und Sprinkenhof reagierten damals einfach nicht:
"Ich glaube, der bürgernahe Polizist war da. Der war uns aber sehr wohlgesonnen. Der ist dann auch täglich hier gewesen, als Vertreter von der SAGA und der Sprinkenhof mit ihren Handwerkern dafür sorgen wollten, dass wir hier den Zugang nicht mehr haben. Da sollte hier und da ein Gitter vor die Tür geschweißt werden. Andere Türen sollten mit Holzbrettern verrammelt werden. Das war dann ziemlich spannend, der spannendste Tag. Da waren wir dann auch schon ganz früh hier. Und sind dann sofort auf diese Leute zugegangen. Und haben gesagt: 'Das geht aber nicht, wir müssen unbedingt Zugang zu unserer Kunst haben.' Wir hatten ja alle hier ausgestellt."
Die Künstler hatten vor sechs Jahren nämlich still und heimlich ihre Werke ins Gängeviertel verfrachtet und eingeladen. Nicht zur Besetzung, sondern – darauf legte man Wert: zur Bespielung der Häuser mit Ausstellungen und einem Hoffest für alle. Heute, sechs Jahre später, erklärt Christine Ebeling den Erfolg der Künstler so:
"Der Unterschied war vielleicht: Wir haben da nicht Matratzen und Kochnischen eingerichtet und uns verbarrikadiert. Sondern ganz im Gegenteil: Publikum eingeladen. Auch mit dem Hinweis des Risikos natürlich; was das bedeutet. Aber wir haben die Räume sozusagen zu einer riesengroßen Kunstausstellung werden lassen und haben ganz viel Kultur geboten, Livemusik, und, und, und. Und waren selbst unsere eigenen Gäste."
Günstige Wohnungen als Stipendium für Künstler
Viel Aussicht auf eine dauerhafte "Bespielung" hatten die Künstler aber nicht. Zuvor hatte die Stadt Gebäude und Grundstück für einen Millionenbetrag an einen niederländischen Investor verkauft. Die Häuser sollten weg. Platz machen für einen Bürokomplex aus Stahl, Glas und Beton. Stattdessen trifft man im Gängeviertel auch heute noch Christine Ebeling. Rund 80 Künstlerinnen und Künstler wohnen und arbeiten hier, zahlen für eine Wohnung maximal 7,50 pro Quadratmeter, höchstens vier Euro pro Quadratmeter für ein Atelier. Und damit möglichst viele Menschen davon profitieren, wird ein Teil der Wohnungen nur auf Zeit als eine Art Stipendium für junge Künstler vergeben.
"Klar, damit hatte bis auf wenige – aber ich war darunter – niemand gerechnet, dass wir hier nach sechs Jahren immer noch dabei sind; und tatsächlich mittlerweile die Selbstverwaltung erreicht haben, übernommen haben. Der Vertrag ist ja mittlerweile unterzeichnet. Die 2010 gegründete Genossenschaft ist jetzt hier Verwalterin und Vermieterin der Häuser. Und das bedeutet zum einen natürlich viel Arbeit und Verantwortung. Aber das ist genau das, was wir uns schon von Anfang an auch als Ziel gesetzt haben: Wenn dieses Viertel besteht, dann sind wir hier die Menschen, die es selbstverwalten."
Aber bis dahin, erzählt Christine Ebeling, war es ein langer Weg. Der Hamburger Senat, die Kulturbehörde und - vor allem - der Finanzsenator mussten vom nicht ganz billigen Plan der Künstler überzeugt werden: vom Rückkauf der Häuser für 8,5 Millionen Euro und ihrer Sanierung für zusätzlich 20 Millionen Euro. Einen Teil dieser Millionen muss die 2011 Gängeviertel-Genossenschaft über die Mieteinnahmen zurückzahlen.
Bespielen statt besetzen
Dass die Stadt am Ende aber zustimmte, hatte viele Gründe. Die Grünen, damals im Senat der kleine Partner der CDU, brauchte ein Feld, auf dem sie ihren Wählern zeigen konnten: Wir haben doch ein bisschen Einfluss. Es gab heftige Proteste gegen die Mietsteigerungen, gegen die Gentrifizierung ganzer Stadtteile. Und 2009 hatte eine Studie ergeben: Hamburg profitiert immens von einer jungen kreativen Szene, zum Beispiel beim Tourismus. Dass mit Daniel Richter ein weltweit bekannter Maler die Schirmherrschaft für das Projekt Gängeviertel übernahm, überzeugte dann auch die bürgerliche Presse, machte Eindruck. Hamburgs heutige Kultursenatorin Barbara Kisseler freut sich heute über den Erfolg der Besetzer.
"Es ist ganz entschieden eine Bereicherung, weil es zeigt, dass heute im urbanen Gefüge - wenn man mal so ein bisschen im Soziologen-Jargon sagen darf - solche Initiativen erreichen, dass dadurch mehr entstehen kann als ein ehemals etwas zerfallener Gebäudekomplex, der dann ein bisschen aufgehübscht wird. Sondern dass das Zusammenleben in der Stadt, die Akzeptanz von Betreibern solcher Initiativen wächst. Und da hat das Gängeviertel seine Verdienste."
Wer also mit dem Gedanken spielt, sich Stadtraum anzueignen, kann vom Gängeviertel lernen. Bespielen, statt Besetzen ist unter Umständen die nachhaltigere Strategie. Besser, als Gehwegplatten vom Dach auf Ordnungskräfte zu werfen - wie in der Hafenstraße geschehen – ist es, das Gespräch mit bürgernahen Beamten zu suchen. Wenn man sich dann noch einen prominenten Schirmherrn sucht und die Türen öffnet statt sie zu verbarrikadieren ist das die halbe Miete. Vielleicht sogar die ganze.
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