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Hamburg (Print Vermischtes)

Zukunftsangst macht Kreativität zunichte

Mit der Besetzung des Gängeviertels haben Künstler auf ihre schwierigen Arbeitsbedingungen aufmerksam gemacht. Katja Engler hat sich angesehen, wie Maler und Bildhauer in Hamburg leben

Eine Häuserbesetzung wie im Gängeviertel hat die Malerin Lena Schmidt, 28, schon hinter sich. Inzwischen kann sie sich aber ein Atelier im Künstlerhaus Wendenstraße leisten, weil sie viermal die Woche in der Gastronomie arbeitet, zwei Abende davon bis morgens um sechs. Ihr Atelier ohne Heizung kostet sechs Euro pro Quadratmeter, und dafür ist sie sehr dankbar, denn "das ist total billig". Lena Schmidt studiert an der Hochschule für Bildende Künste. Sie ist eine fleißige, kompromisslose Künstlerin, die am liebsten zwölf Stunden am Tag zeichnet, sehr genau und deshalb langsam arbeitet und höchstens 4000 Euro im Jahr mit ihrer Kunst verdient. 50 Prozent bekommt bei Bilderverkäufen ihr Galerist, den sie glücklicherweise gefunden hat und der sie unterstützt.

Die Atmosphäre, die ihre dunklen Bilder spiegeln, saugt sie auf, wenn sie stundenlang nachts durch die menschenleeren Straßen von Hammerbrook wandert. Die von Verkehrsadern und Lichtquellen durchzogene, beruhigte Stadt wird dann zur Skulptur, deren Räumlichkeit nicht mehr zu durchschauen ist - wie bei einer langsamen Kamerafahrt. Es ist eine neu im Kopf zusammengesetzte Wirklichkeit.

Diese zeichnerischen Strukturen kratzt Lena Schmidt mit feinsten Messern aus großen Holzplatten heraus, die mit Farbe vorgestrichen sind. Die lebendigen Maserungen im Holz, Astlöcher und Verwerfungen, arbeitet sie als Bildelement mit ein. "Mir würde es reichen, wenn ich Miete und Essen von meiner Kunst bezahlen könnte. Sonst brauche ich nichts. Aber manchmal mache ich mir Sorgen um meine Zukunft. Elf Jahre arbeite ich nun schon in der Gastronomie - das ist nicht das, was ich will."

Die meisten Künstler sind Menschen, die jenseits wirtschaftlicher Notwendigkeiten Überraschendes schaffen. Sie malen Bilder oder formen Skulpturen, die die Wahrnehmung herausfordern. Oder sie starten Aktionen, die die gewohnten Abläufe kreativ durchbrechen. Dafür riskieren sie, dauerhaft von sehr wenig Geld zu leben, ständig um Anerkennung kämpfen zu müssen und ihre Hoffnung irgendwann zu begraben. Denn weniger als vier Prozent aller Künstler können dauerhaft von ihrer Kunst leben, sagt Martin Köttering, Präsident der Hamburger Hochschule für Bildende Künste.

Seit im Gängeviertel fast 200 Künstler die dort verfallenden Häuser bezogen haben, ist Bewegung in die ganze Szene gekommen. Die übrigen Hamburger Künstler freuen sich darüber, und alle hoffen, dass diese beherzte Aktion etwas verändern wird. Denn vieles weist darauf hin, dass es in der Hansestadt stetig bergab geht mit der Lebens- und Arbeitssituation von Künstlern. Und dass sich, was schwerer zu fassen ist, die Atmosphäre in der Stadt so verändert hat, dass Künstler sich nicht mehr willkommen fühlen.

Die Gängeviertel-Aktivisten, von denen einige vorher bereits et-was Ähnliches im Kunstkollektiv Brandshof nahe den Elbbrücken versucht hatten, dort allerdings ohne Erfolg und Öffentlichkeit, machen mit dieser Aktion unter anderem darauf aufmerksam, dass es in der Stadt zu wenige bezahlbare Ateliers gibt. Und sie leben vor, dass nicht kommerziell genutzte Räume für ein intelligentes Konzept lebendiger urbaner Entwicklung unverzichtbar sind.

Zwar hat die Kulturbehörde in diesem Jahr immerhin 250 Ateliers durch Ausbauhilfen und Ähnliches gefördert , aber das, so bestätigen alle mit dem Thema Befassten, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn "Kunstschaffende haben in Scharen die Stadt verlassen", sagt Claus Mewes. Er leitet das Kunsthaus am Klosterwall, ist Sprecher der Arbeitsgruppe Bildende Kunst und bestens vernetzt in der Stadt. Zum Beweis legt er eine Liste mit rund 70 Namen bildender Künstler vor, die seit 1990 von Hamburg nach Berlin umgezogen sind.

Das liegt natürlich zum einen an der Anziehungskraft der sich ständig verändernden Hauptstadt. Aber es liegt auch an den Umständen: "Seit ich hier in Hamburg die Galerie habe, geht es mit den Arbeits- und Lebensbedingungen für Künstler bergab", sagt auch Jörg Heikhaus, 41, der seit sechs Jahren die Galerie Heliumcowboy Artspace betreibt - übrigens mit großem internationalem Erfolg. "Die Chancen, bekannt zu werden, sind hier in Hamburg vielleicht sogar besser", sagt Heikhaus weiter, "aber die gehen trotzdem nach Berlin, weil hier alles zu teuer ist."

Martin Köttering findet es dagegen "absurd, gegen Berlin in Konkurrenz zu treten. Hamburg wird allein schon aufgrund seiner Gediegenheit nie eine Kunstmetropole wie Berlin". Trotzdem räumt auch er ein, dass "die Situation für junge Künstler in Hamburg erschwert" sei. Atelierpreise und Mieten seien gestiegen, die Förderung sei geschrumpft und das Klima in der Stadt habe sich verschlechtert. Dass der Kunstunterricht in den Schulen seit Jahren schlechter wird, wirkt sich auf die Qualität der Arbeit der Bewerber aus. Aber dass in Hamburg als bundesweit einziger renommierter Kunsthochschule Studiengebühren erhoben werden, hat sich bislang nicht negativ auf die Zahl der Studierenden niedergeschlagen (derzeit studieren, ähnlich wie die Jahre zuvor, rund 700 Männer und Frauen an der HfbK), doch erhöht das den Druck.

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Martin Köttering findet die Gebühren von 750 Euro im Jahr gerade für Kunststudenten falsch, denn "sie müssen nicht nur zusätzlich ein Atelier anmieten, sondern auch noch ihr Material selbst kaufen. Das Material allein kostet mindestens 500 Euro im Jahr." Hinzu kommt noch die HVV-Jahreskarte - mit 250 Euro.

Die Zahl der in Hamburg lebenden Künstler ist nicht verlässlich zu ermitteln. Frank Lüsing von Bundesverband Bildender Künstler schätzt sie auf 1500, die Künstlersozialkasse (KSK), die vor 25 Jahren gegründet wurde, um Künstler und Publizisten vor Altersarmut zu bewahren, hat dagegen 4513 Hamburger Künstler erfasst. Dazu gehören aber auch Designer, Werber, Grafiker, Stylisten, Visagisten und Illustratoren. Grob die Hälfte aller Künstler, so wird geschätzt, ist überhaupt nicht renten- oder krankenversichert. Als arbeitslos wurden im August 2009 in Hamburg von der KSK 730 bildende Künstler erfasst; diese Zahl ist um acht Prozent angestiegen gegenüber 2008.

Die Musikerin und Künstlerin Silke Thoss ist eine der wenigen, die so gerade von ihrer Kunst leben können. Sie ist 40 Jahre alt und fährt mehrgleisig: Sie komponiert schnelle, energievolle Zydeco-Country-Songs, schreibt Texte, spielt Akkordeon und malt unverwechselbare Bilder, die aus einem trivialen amerikanischen Roadmovie zu stammen scheinen. Neuerdings ist Silke Thoss auch noch als Bühnenbildnerin aktiv. Ihr 16-Quadratmeter-Kelleratelier kostet 150 Euro, die Ein-Zimmer-Wohnung immerhin nur 260 Euro. Silke Thoss verdient mal 500, mal 2000 Euro im Monat und kommt "mit Ach und Krach über die Runden".

Natürlich kann die öffentliche Hand nicht alle Künstler unterstützen. Tatsächlich ist es aber so, dass die sowieso geringen Fördermittel, mit denen dennoch verhältnismäßig viel bewegt werden kann, in Hamburg über die Jahre immer weiter zusammengestrichen wurden: Die einst stolze Summe von 84 000 Euro pro Jahr Projektförderung liegt jetzt bei rund 50 000 Euro, wobei sie 2008 auf 15 000 Euro geschrumpft war. Zusätzlich gibt es jährlich zehn Stipendien für Künstler. Diese Zahl wurde zwar seit 1981 nicht reduziert, doch der monatliche Betrag von 820 Euro pro Künstler wurde seither nicht erhöht. Außerdem wurde das Geld für das Programm "Kunst im öffentlichen Raum" von 500 000 Euro (1982) immer weiter reduziert. Heute liegt es bei gut 120 000 Euro im Jahr, weitere 130 000 Euro werden für die Pflege der Kunstwerke ausgegeben. Überdies hat man auf die wichtige Position der Senatsdirektorin für bildende Kunst in der Kulturbehörde eine fachfremde Verwaltungsbeamtin gesetzt, die zuvor das Amt für Gleichstellung geleitet hatte. "Gerade in der Finanzkrise wurde das politische Denken immer stärker durchökonomisiert", kritisiert Martin Köttering. "Dabei ist für mich der irrelevanteste Wert derjenige, der sich ökonomisch ausdrückt. Ohne das Potenzial von Kulturschaffenden wäre unsere Gesellschaft tot."

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