ZEIT ONLINE: Herr Holm, in den letzten Jahren hat der Begriff Gentrification eine erstaunliche Karriere hingelegt. Von einer wissenschaftlichen Wendung ist er zu einem geflügelten Wort geworden, ohne den kaum eine Diskussion über Stadtpolitik auskommt. Wie würden Sie Gentrifizierung denn definieren?

Holm: Es gibt eine Standarddefinition, die sagt: Gentrification, das sind alle Stadtveränderungsprozesse, die mit Verdrängung und Austausch der Bevölkerung einhergehen. Das wäre die allerschmalste Definition. Es gibt aber auch weiter gefasste Definitionen, die sich auf die Lebensstile der neuen Bewohnerinnen und Bewohner und die Veränderung des Nachbarschaftscharakters beziehen. Oder solche, die den Schwerpunkt eher auf den immobilienwirtschaftlichen Aspekt legen. Zum Beispiel wenn es um Investitionen geht, die einen Austausch der Bevölkerung entweder voraussetzen oder bewirken.

ZEIT ONLINE: Die bittere Pointe der Gentrifizierung scheint, dass der Begriff vor allem von denjenigen ins Feld geführt wird, die selbst für die Anfänge der Gentrifizierung verantwortlich sind.

Holm: Das wird in der wissenschaftlichen Diskussion als Pionierdilemma beschrieben. Künstler, Studierende und Kreative, also Menschen mit hohem sozialem und kulturellem Kapital, aber geringen ökonomischen Ressourcen, sind die Pioniere der Aufwertung. Das ist die ganz klassische Vorstellung, wie Gentrification abläuft: Erst ziehen junge Kreative in ein Viertel und bewerkstelligen mit ihrer Anwesenheit, ihrer Infrastruktur und ihren Aktivitäten einen Imagewandel. Die Immobilienwirtschaft greift das dann auf.