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Ein Jahr Gänge-Besetzung: "Wir hatten ganz schön Herzklopfen."

Foto: A3576 Maurizio Gambarini/ dpa

Hamburger Gängeviertel-Besetzung "Wir wollten ins Herz der Stadt"

Vom Abbruchviertel zum Symbol gegen Gentrifizierung: An diesem Wochenende jährt sich die Besetzung des Gängeviertels in Hamburg das erste Mal. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview sprechen die Besetzer über kreativen Wildwuchs, bürgerliche Sympathien und klopfende Herzen.

Marion Walter, Jg. 1976, Bildhauerin; Florian Tampe, Jg. 1975, freier Künstler; Christine Ebeling, Jg. 1966, Kunstschmiedin und Bildhauerin und Hannah Kowalski, Jg. 1983, Theatermacherin und Performerin.

Frage: Seit Anfang der Achtziger werden in allen großen Städten Hausbesetzungen binnen 24 Stunden von der Polizei beendet. Wie erklären Sie sich, dass das im Gängeviertel  nicht passiert ist?

Florian Tampe: Für mich ist das noch immer eine offene Frage. Dabei hätten sie uns in den ersten drei Stunden locker-flockig abräumen können. Am Montagmorgen war es schon viel zu groß. Da war die Presse da und massenhaft Leute, die sich vor die Häuser gesetzt haben.

Christine Ebeling: Geholfen hat bestimmt, dass wir nicht von einer Besetzung gesprochen haben. Offiziell haben wir die Aktion "Hoffest" mit "kultureller Bespielung" genannt. In der Vorbereitung haben wir mit diversen Museen, Archiven, Stadtplanern gesprochen. Wir haben einerseits was durchblicken lassen, andererseits wollten wir nicht zu viel verraten. Aber ich erinnere mich an viele schmunzelnde Gesichter, auch bei offiziellen Stellen.

Frage: Es gab also in den Behörden Leute, die Sympathien hatten?

Ebeling: Ja. Das war unglaublich, wie viele Menschen in entscheidender Rolle das begrüßt haben, inoffiziell natürlich.

Tampe: Unsere einzige Chance war, ganz viele Menschen dort einzubinden. Wir haben viele kleine Veranstaltungen gemacht, um ein großes Netzwerk zu schaffen, das uns am Tag X unterstützt. Wir haben auch Leute aus Hausbesetzerkreisen eingeladen. Die haben uns aber gleich gesagt: So wie wir es vor zwanzig, dreißig Jahren gemacht haben, funktioniert es nicht mehr.

Frage: Das heißt, es war keine typisch linke Besetzung?

Tampe: Die "Komm in die Gänge"-Gruppe besteht aus sehr unterschiedlichen Menschen. Da gibt es totale Freigeist-Künstler, da gibt es Architekten und Stadtplaner und Linksaktivisten. Die alle unter einen Hut zu bringen, ist fast unmöglich. Deswegen spalten sich auch immer wieder Leute ab, und andere kommen dazu.

Hannah Kowalski: Einige von denen, die abgesprungen sind, kommen eher aus dem klassischen linken Milieu. Die konnten nicht davon abrücken, die Besetzung als antistaatliche, antibürgerliche Kritik zu verstehen - und zwar nur als das. Sie hatten Vorbehalte gegen diese Form der bürgerlichen Einladung an alle.

Tampe: Was diese unterschiedlichen Welten zusammenhält, ist letztlich die enorme Verantwortung gegenüber der Debatte um Gentrifizierung, die sich am Viertel entzündet hat. Was passiert, wenn das gegen die Wand fährt? Und das kann nur passieren, wenn es von innen nicht mehr funktioniert. Wie viel verbrannte Erde produziert man dann?

Frage: Sogar das konservative "Hamburger Abendblatt" hat die Gängeviertel-Besetzung begrüßt. Hat Ihnen da der Zeitgeist in die Hände gespielt? Seit der Bankenkrise sieht man in bürgerlichen Kreisen die Spekulationsblasen kritisch - auch in der Immobilienbranche.

Kowalski: Ich glaube, dass die Finanzkrise noch in ganz anderer Weise geholfen hat. Seit diesem Crash redet man wieder ganz anders über Kollektivität. Uns haben viele Menschen besucht, die sich plötzlich Gedanken darüber machen, was ist, wenn der Sozialstaat kollabiert. Wie können wir uns anders unterstützen, als auf den Staat zu hoffen?

"Der kreative Wildwuchs entsteht am Rande der Legalität"

Frage: Wie haben die Besetzer eigentlich zusammengefunden?

Marion Walter: Einige von uns kennen sich aus dem Brandshof in Rothenburgsort. Das sind ein paar alte Lagerhallen und ein Verwaltungsgebäude unter Zwangsverwaltung, in denen wir für zwei Euro den Quadratmeter Räume gemietet hatten. Alle Leute haben uns für bescheuert erklärt, weil wir dort erst mal ein Jahr lang bauen mussten. Und das, ohne zu wissen, wie lange wir überhaupt bleiben können. 2007 hat Klaus-Martin Kretschmer den Brandshof übernommen, der 2001 auch die Rote Flora gekauft hat. Kretschmer ist Immobilienhändler und nennt sich gerne "Kultur-Investor".

Frage: Und mit dem kamen Sie nicht zurecht?

Ebeling: Als er das erste Mal dort aufgetaucht ist, hörte sich das alles noch ganz gut an. Am Ende verkündete er uns den Mietpreis: 8,88 Euro pro Quadratmeter. Das Angebot galt aber nur für uns, die wir schon da waren, die neu hinzukommenden Künstler hätten zehn oder elf Euro zahlen müssen.

Walter: Kretschmer wollte auch entscheiden, wer dort arbeiten darf und wer nicht. Er wollte dort eine Künstlerkolonie. Wir dagegen waren ein Konglomerat von ganz unterschiedlichen Leuten. Künstler, Musiker, Handwerker, auch mal ein Biologe dazwischen. Solche Projekte basieren nun mal darauf, dass alle ganz unterschiedliche Sachen machen.

Tampe: Diese Art zu Leben und zu Arbeiten funktioniert auch nicht, wenn sie von den Behörden abgenommen und genehmigt werden muss. Der schöne, kreative Wildwuchs - das kann eigentlich nur entstehen, wenn man am Rande der Legalität laviert.

Frage: Im Gängeviertel ist es aber offensichtlich anders. Da stehen Sie in der Öffentlichkeit - mit dem Effekt, dass auch das Bauprüfamt Ihnen auf die Bude rückt.

Tampe: Das ist auch der Unterschied. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir uns immer versteckt. Auch im Gängeviertel - da haben wir zwei Jahre vor der Besetzung angefangen, einen klandestinen Club im Keller zu veranstalten: die "Kaschemme".

Walter: Der Keller war ziemlich verschimmelt. Trotzdem haben wir das jeden Freitag gemacht.

Tampe: Die "Kaschemme" war von der "Palette" inspiriert, dem Sechziger-Jahre-Jazzkeller gleich hier um die Ecke, den der Schriftsteller Hubert Fichte in einem Roman beschrieben hat. Wir haben dort kleine Sitzgruppen und Separées reingebaut, und Bücherregale. Die Musik war in Zimmerlautstärke, es gab ein Techno-Verbot, jeder konnte auflegen und jedes Getränk kostete einen Euro. Gefunden hat man diesen Hintereingang nur, wenn man davon wusste. Das lief über Mundpropaganda.

Walter: Wir hatten ausgemacht: Bei 1111 Besuchern ist Schluss. Es gab einen Besucherzähler. Den haben wir auch immer bedient, egal wie besoffen wir waren. Im November 2008 haben wir die Kaschemme zugemacht, im Januar 2009 haben wir angefangen, dort die "Zelle" zu installieren. Jeden Dienstag um 19 Uhr.

Frage: Die "Zelle" war eine Art konspirativer Treffpunkt, um die Besetzung vorzubereiten?

Tampe: Natürlich haben wir auch über das Gängeviertel geredet, aber eine Besetzung war erst mal kein Thema.

Ebeling: Es ging um Erfahrungsaustausch. Wir wollten Strategien entwickeln, wie wir es schaffen, als Künstler oder Kreative nicht immer nur Pioniere für einen Aufwertungsprozess zu sein. Wie man sich dem aktiv entgegenstellt, um nicht demnächst vor dem nächsten Investor flüchten zu müssen.

Walter: Es kamen auch Leute aus etablierteren Kreisen, Leute aus anderen deutschen und europäischen Städten - sehr viele Menschen haben wir durch diesen Keller geschleust. Im Laufe des Sommers fanden wir heraus, dass Hanzevast wegen der Bankenkrise Finanzierungsschwierigkeiten hatte. Wir haben die Stadt mit den roten "Komm in die Gänge"-Aufklebern gepflastert. Wir haben jedes Haus untersucht, Fenster zugeschraubt, Stockwerke gesperrt - es gab Instruktionszettel für all die 200 Leute, die mitgemacht haben. Alle waren gebrieft für einen ganz bestimmten Ablauf. Wir hatten ganz schön Herzklopfen.

"Wir können uns nur noch selbst gentrifizieren."

Frage: Sie haben dann zwei Monate nach der Besetzung freiwillig zwei Gebäude wieder geräumt, weil die Stadt sie an den Investor übergeben musste, um die Kaufabwicklung nicht zu gefährden. Ganz schön brav für Hausbesetzer, oder?

Walter: Das war eine rein taktische Entscheidung. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass die Stadt über die Rückabwicklung des gesamten Vertrages verhandelt. Die Rückgabe hat unsere Verhandlungsposition auf dem Weg, das ganze Gängeviertel zu bekommen, extrem gestärkt.

Kowalski: Ich war bis zum letzten Moment dagegen. Aber im Nachhinein denke ich, dass es richtig war. Ich war schon total dagegen, überhaupt eine Zwischennutzungsvereinbarung mit der Stadt zu unterschreiben - was ja bereits am Dienstag nach der Besetzung geschehen war. Weil ich die Angst hatte, dass man auf diese Weise den politischen Gegensatz zur städtischen Politik nicht mehr thematisieren kann. Und damit war ich nicht alleine. Aber ich bin undogmatisch genug, um heute sagen zu können, dass diese softe Schwiegermuttertraum-Strategie anfangs gut funktioniert hat.

Frage: Was war denn überhaupt die politische Botschaft der Besetzung? Ging es nicht in erster Linie um günstigen Atelierraum?

Ebeling: Dieser Ruf nach Raum für Künstler und Kreative schwang zwar mit, war aber nicht ausschlaggebend. Uns war wichtiger zu sagen: Die Stadtentwicklung hier läuft aus dem Ruder. Das an einem zentralen Ort, in einem Denkmal, klarzustellen - deutlicher kann man es nicht machen. Wir sind bewusst ins Herz der Stadt gegangen. Mit der klaren Aussage: Wir wollen nicht in die Randgebiete, in irgendwelche Ecken, die jetzt bitteschön zu gentrifizieren sind.

Frage: Und hier tragen Sie nicht zur Gentrifizierung bei?

Walter: Wir können uns schlimmstenfalls nur noch selbst gentrifizieren - wir sind hier keine Pioniere oder Rammböcke für Aufwertung. Denn wie teuer soll es noch werden? Dennoch strahlen wir auf die Stadt aus. Das ist anders als an allen anderen Orten, die Künstler und Kreative üblicherweise zwischennutzen.

Kowalski: Die Mitschuld an Gentrifizierung werden wir trotzdem nicht los. Die Stadt kann jetzt auf das Gängeviertel verweisen, wenn sie zeigen will, wie offen und innovativ sie ist. Auch wenn sich de facto sonst nichts ändert.

Walter: Dass sich die Stadt damit brüsten wird, wenn es zu einer Verhandlungslösung kommt, können wir nicht verhindern. Die interessantere Frage ist: Bestimmen die, was hier geht, oder machen wir das? Und da sind sich hier alle einig: Das Viertel ist nur in Selbstverwaltung zu entwickeln. Teillösungen sind nicht akzeptabel.

Frage: Sieht man das auf Seiten der Behörden nicht anders? Sie verhandeln seit Monaten mit der Stadt über die Sanierung und Nutzung des Gängeviertels.

Kowalski: Dass saniert werden muss, ist klar. Die Häuser fallen sonst zusammen, auch weil die Gebäude wegen der Tiefgaragen im benachbarten Neubauquartier absacken. Die Stadt möchte das treuhänderisch an die STEG übergeben. Das ist ein privater Sanierungsträger, der zum Beispiel die Umstrukturierung des Schanzenviertels zum teuren Szene-Viertel begleitet hat. Wir wollen die Planung in unseren Händen behalten, damit hier nicht am Ende ein Kostendruck entsteht, der die Nutzung als öffentlichen und bezahlbaren Raum für Kultur und soziale Zwecke verhindert.

Frage: Und wie verhindern Sie, dass die hehren Ansprüche in einem Klüngel enden, innerhalb dessen man sich günstige Räume zuschanzt?

Ebeling: Es wird eine Belegungskommission geben mit einem Beirat, in dem auch gesellschaftliche Institutionen sitzen. Ich finde es auch in Ordnung, wenn die Stadt kontrolliert, dass hier Sozialwohnungen nicht an Leute gehen, die dazu nicht berechtigt sind. Andererseits gibt es keine Alternative zur Selbstverwaltung. Wohnen, Arbeiten und öffentliche Veranstaltungen sind auf so engem Raum nicht möglich, wenn man uns von außen irgendwelche Leute hier reinsetzt. Alle, die das Viertel nutzen, müssen es auch gemeinsam tragen.

Frage: Werden Sie sich einig mit den Behörden?

Ebeling: Das ist offen. Zur Zeit gehen wir in den Verhandlungen unser Konzept Punkt für Punkt durch und machen eine detaillierte Bestandsaufnahme. Die schwierigste Frage wird sein, was passiert, wenn die Sanierung in sechs bis acht Jahren abgeschlossen ist. Unsere Vorstellung ist, dass wir dann das Viertel als Genossenschaft in Erbpacht übernehmen. Darauf wird man sich auf Seiten der Stadt Hamburg aber sicherlich nicht festlegen lassen wollen - zumal sich ja der schwarz-grüne Senat eher in Auflösung befindet.

Das Interview führte Christoph Twickel. Es ist ein für Spiegel Online bearbeiteter Vorabdruck aus seinem Buch Gentrifdingsbums oder Eine Stadt für alle, Edition Nautilus, 128 Seiten, 8,90 Euro, erscheint am 25. August.

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