Hamburger Stadtentwicklung: Wem gehört das Gängeviertel?

Im Streit übers Gängeviertel will der Investor nun doch zahlen. Die Besetzer stehen wohl bald im Regen. Und für den schwarz-grünen Senat brechen stürmische Zeiten an.

Szene im Gängeviertel: Inzwischen halten dort die Stadtrundfahrtsbusse. Bild: dpa

Von den Schildbürgern erzählt man sich, sie hätten einmal ihren Vorsteher auf einer von vier Männern getragenen Plattform über den Gemeindeacker getragen. Sein Job: das Verscheuchen von Krähen. Der Job der vier: zu verhindern, dass er bei seiner Mission die frische, von den Vögeln bedrohte Saat zertrampelt. Ein nachgerade planvolles Vorgehen im Vergleich dazu, wie Hamburgs schwarz-grüner Senat der Herausforderung durch etwa 200 Besetzer im innerstädtischen Gängeviertel begegnet ist.

Nachdem der holländische Investor Hansevast, der bereits als pleite galt, vorige Woche überraschend der Stadt eine überfällige Rate für das Häuserensemble gezahlt hat, müssten die seit dem 22. August besetzten Gebäude jetzt nach und nach geräumt werden. Und dabei sah es zunächst gar nicht schlecht aus für die Besetzer, im wesentlichen Künstler, die sich unter Schirmherrschaft des Malers Daniel Richter Ende August in den leer stehenden Häusern Ateliers einrichteten und Ausstellungen organisierten. Sie machten so auf den eklatanten Mangel an günstigem Arbeits- und Wohnraum für Künstler in den zentralen Vierteln Hamburgs aufmerksam. "Müssen wir alle nach Berlin?", stand auf einem Fassadentransparent.

Die Künstler wollten mit ihrer Aktion auch Abriss, Entkernung und Überbauung des letzten Stücks historischen Arbeiterwohnens in der Innenstadt verhindern, den die 2008 genehmigten Baupläne des Investors auf dem Areal vorsehen.

Mit überraschendem Zuspruch. Inzwischen halten dort die Stadtrundfahrtsbusse, Springers Hamburger Abendblatt berichtet wohlwollend, und selbst die konservative Leserschaft der Welt spricht sich in zahllosen Onlinekommentaren für den Erhalt der Gebäude in der Innenstadt aus. So viel Einigkeit war selten. Die Bürger haben die Nase gestrichen voll von der global uniformen Architektur, die bei solchen Bauprojekten herauskommt, und fürchten um den Charakter ihrer Stadt.

Man könnte annehmen, die Angelegenheit fiele in die Zuständigkeit der grünen Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk. Kurz nachdem die Künstler die Gebäude übernommen hatten, war sie noch zu vernehmen: "Alle Beteiligten müssen für das Gängeviertel schnell eine tragbare Lösung finden." Ihre Behörde werde sich "zügig dafür einsetzen, dass möglichst unter Erhaltung historischer Bausubstanz das Gängeviertel wieder zu einem lebendigen Teil der Hamburger Innenstadt wird." Anschließend tauchte die Grüne in dieser Sache ab.

Kommunikationsbeauftragt wurde vom Senat die parteilose Kultursenatorin Karin von Welck. Die machte den Künstlern in Gesprächen zwar keine großen Hoffnungen und ließ mitteilen, der Senat hielte am Verkauf fest, wenn nicht an diesen, dann an einen anderen Investor. Doch die offensichtlichen Zahlungsunwilligkeit von Hansevast und die wachsende Sympathie der Öffentlichkeit spielte den Künstlern kräftig in die Hände.

Die klobigsten Stiefel beim Zertrampeln der Stadtäcker trägt CDU-Finanzsenator Michael Freytag. Unter seiner Ägide als Stadtentwicklungssenator, damals noch unter Schwarz-Schill, wurde das Gelände 2002 zum Verkauf angeboten.

Schon der erste Investor erwies sich als zahlungsunwillig, die Häuser gammelten, Hansevast trat 2006 ins Geschäft ein. Freytags Behörde ist es zu verdanken, dass städtischer Grund derzeit grundsätzlich an den jeweils Höchstbietenden verhökert wird. Der Ertragsdruck, den der hohe Preis auf die Investoren ausübt, lässt ihnen nur eine Wahl: Rein kommt später nur, wer die meiste Kohle hat. Die immer gleichen internationalen Ketten in die Gewerberäume, in die Wohnungen die zahlungskräftige Klientel.

Die Stadtentwicklung immer stärker solch privaten Investoren zu überlassen, ruft auch in anderen Hamburger Wohnvierteln den Widerstand auf den Plan: gegen einen Bürokomplex am Isebekkanal an der Hoheluftchaussee, gegen einen Ikea-Innenstadtkaufhaus in Altona oder gegen ein Bauprojekt im Szeneviertel St. Pauli in Rufnähe zu den ehemals besetzten Häusern in der Hafenstraße, dem sogenannten Bernhard-Nocht-Quartier.

Der Stadtteil St. Pauli mit seinen 27.000 Einwohnern, deren wenige, rund um die Reeperbahn gelegene Straßen mit 11.000 Menschen pro Quadratkilometer wesentlich dichter besiedelt sind als andere Teile der Stadt, ist derzeit nicht allein durch den Verkauf städtischer Liegenschaften unter Druck. Kein anderer Stadtteil hat in jüngster Zeit einen derartigen Anstieg der Neuvermietungspreise zu verzeichnen, was nicht allein an den neu gebauten Eigentumswohnungen liegt. Wer in den letzten drei Jahren auf den Kiez ziehen wollte, musste im Schnitt 28 Prozent mehr bezahlen als vorherige Neumieter. Mit 10,22 Euro netto kalt liegt das durchschnittliche Mietniveau nun ungefähr bei dem von Eppendorf, einem der teuren Viertel der Stadt.

2.000 Neuzugänge verzeichnete St. Pauli in den Jahren zwischen 2001 und 2005, die Zahl der Arbeitslosen halbierte sich im selben Zeitraum. Immer mehr Suburbia-Flüchtlinge und Neuhamburger mit Geld auf Tasche zieht es in das ehemals ärmste Viertel Hamburgs. Und das ungeachtet der Tatsache, dass offenes Elend im Viertel weiter stark sichtbar ist. Laut Statistik ist dort jeder fünfte Hartz-IV-Empfänger und beinahe jeder Dritte hat keinen deutschen Pass, doppelt so viele wie im Hamburger Durchschnitt.

Auch die anhaltend hohe Kriminalität schreckt nicht ab, ebenso wenig Straßenprostitution, Dreck, Lärm und der Mangel an Grünflächen. St. Pauli liegt fußläufig südwestlich der Innenstadt und weist einen ansehnlichen Altbaubestand auf, punktum. Falls es noch eines Beweises bedürfte für einen neuen Trend der Mittelschicht zum innenstadtnahen Wohnen, er wäre in St. Pauli zu erbringen.

Habituell trifft das am stärksten das subkulturelle Milieu. Die Alt-St.-Paulianer meckern zwar auch und haben dazu in der No-Budget-Dokumentation "Empire St. Pauli", die in Hamburg gerade anhaltend die Leinwände rockt, auch ausgiebig Gelegenheit gehabt. Nur haben sie das auch schon vor zehn oder zwanzig Jahren gemacht. Ihnen waren schon die Bunthaarigen suspekt, die Studis, die Hamburger-Schule-Jungs und -Mädels.

Neben der Angst, die Miete nicht mehr bezahlen zu können, deutet der trotz aller Allianzen subkulturell geprägte Protest rund um das Bernhard-Nocht-Quartier und Gängeviertel mit dem Zaunpfahl auf einen eklatanten Widerspruch der jüngeren Hamburger Standortpolitik. Die orientiert sich am Motto "Wachsende Stadt", was bis zur Finanzkrise auch bestens gelang, nimmt man das Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft zum Maßstab. Auf die Fahnen geschrieben hat sich Schwarz-Grün aber auch, mit schnarrender Technokraten-Zunge formuliert, ein "Flächenmanagement für Kreative".

Zwischen dem Versprechen und seiner Einlösung steht ein Senat, der sich gründlich verkeilt hat. Für den Imageschaden, den die Koalitionäre schon jetzt zu gewärtigen haben, lässt sich allerdings nicht die Unvereinbarkeit grüner und schwarzer Positionen verantwortlich machen. Die Grünen sitzen im Rathaus allenfalls am Katzentisch.

Das beispiellose Geeiere rund ums Gängeviertel ergibt sich aus dem CDU-Widerspruch von Bewahren und Modernisieren, Schuldenmachen und Sparen. Noch haben die Privatisierer um Finanzsenator Freytag die Hosen an. Das Hamburger Abendblatt wusste kurz nach Zahlung der Rate zu berichten, hinter den Kulissen habe man ein bayerisches Brauereiunternehmen dazu gebracht, für Hansevast die fällige Summe zu übernehmen, damit das Geschäft wie zuletzt geplant nicht platzt.

Vorige Woche ließ Freytag seinen Parteigenossen, Oberbaudirektor Jörn Walter, zurückpfeifen, als er im Begriff war, sich öffentlich für eine Lösung starkzumachen, die die Künstler einbezieht. Die ganze Zeit über geschwiegen hat auch Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust, der sonst keine Gelegenheit auslässt, integrativ zu wirken und aufzutreten.

In der Finanzbehörde wurde am Wochenende noch eine Strippe gezogen. Ein Behördenvertreter flankierte sich mit solchen aus der Kultur und der Stadtentwicklung und überredete die Künstler, zu Anfang der Woche zwei zentral gelegene Häuser des Areals freizugeben, die laut Vertrag mit dem Investor nun zu übergeben sind. Die Besetzer ließen die Presse vorgestern wissen, sie wollten schließlich keine Steuergelder verschwenden.

Die sozialen Kosten des Ausverkaufs städtischen Grund und Bodens unterdessen sind schon jetzt ablesbar. Mitte Oktober verlautbarte, der Sozialbehörde stehe das Wasser bis zum Hals, insbesondere bei der Sozialhilfe. Dort wiederum fressen den größten Teil Mietzuschüsse. Die Kosten eines Rückkaufs der Gängeviertel-Gebäude steigen mit jedem Tag, den der Senat zaudert. Was dagegen eine gewaltsame Räumung für den Ruf der Stadt bedeuten würde, lässt sich nicht mit dem Rechenschieber klären.

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