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Hamburg

Künstler wollen friedlich für Gängeviertel kämpfen

Gaengeviertel Gaengeviertel
Künstler des Gängeviertels haben am Dienstag Position in den besetzten Häusern bezogen
Quelle: Roland Magunia
In letzter Minute hat der niederländische Investor die Rate für das Gängeviertel an die Stadt überwiesen. Er könnte schon bald mit den Bauarbeiten beginnen. Die Kultursenatorin erklärt unterdessen, dass die Stadt den Künstlern dankbar sein könne. Sie will mit ihnen und dem Investor weiter nach einer Lösung suchen.

Die Pressekonferenz findet in einem zugigen Raum im Erdgeschoss der leer stehenden Fabrik statt. Auf dem Tapeziertisch zeugen Brötchen, Aufschnitt und Marmeladentöpfe von den Resten eines späten Frühstücks. In der Ecke bollert der „Toaster“, ein mit Gas betriebenes Heizgerät in Form einer Kanone. „Aufgewühlt“ sei sie zwar, sagt Marion Walter. „Aber jetzt warten wir die Gespräche mit dem Investor ab“, mahnt sich die 33-jährige Bildhauerin selbst zur Ruhe.

Auch die mehr als 200 Hausbesetzer im Gängeviertel, vornehmlich Künstler, sind von der spektakulären Entwicklung überrascht. Der holländische Investor Hanzevast hat die fällige Rate am Dienstag überraschend doch noch gezahlt – nachdem er eine erste Frist hatte verstreichen lassen. Nun droht dem historischen Gängeviertel der Abriss – wenn Hanzevast auch noch eine Rate an die städtische SpriAG zahlt, der das Viertel zur Hälfte gehört. Diese Summe ist am Montag fällig.

Markus Schreiber (SPD), Chef des Bezirksamts Mitte, hat die von der Zahlung unerwartet getroffen. „Wir werden nun prüfen, ob die Baustelle pünktlich zum 3. Februar eingerichtet wird“, sagte er. Da die Baugenehmigung am 3. September erteilt wurde, hat Hanzevast fünf Monate Zeit, um anzufangen. Vorher müssen die Bauherren aber noch eine Statikberechnung vorliegen – wieder eine „Kurve, die Hanzevast nehmen muss“, so Schreiber.

Im nüchternen Behördendeutsch drückt die Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) die Lage so aus: Der Investor habe „signalisiert, dass er an seinen Entwicklungsplänen für das Gängeviertel festhalten und den Vertrag auch weiterhin erfüllen will“, erklärte von Welck. Schließlich werde aber der neue Eigentümer entscheiden, was mit dem Gängeviertel passiere und ob die Künstler dort bleiben könnten. „Wir können reden, aber es gibt letztlich keine Handhabe mehr“, betonte die Senatorin. Warme Worte fand sie für die Besetzer: „Wir sind den Künstlern sehr dankbar, dass sie in ihrer Aktion auf die Schwierigkeiten hingewiesen haben“, lobte Welck.

Die Opposition dagegen kritisiert die Politik der Finanzbehörde. „Jetzt zeigt sich, wie sehr sich die Stadt beim Umgang mit zentralen städtischen Flächen abhängig vom Umgang mit Investoren gemacht hat“, kritisierte der SPD-Abgeordnete Andy Grote. Das Gängeviertel – als letztes Zeugnis der beengten Arme-Leute-Quartiere in Hamburg – hätte in städtischer Regie saniert werden müssen. „Wenn das Gängeviertel jetzt schlicht geräumt und das Projekt durchgedrückt würde, werden sich viele zu Recht fragen, wofür Hamburg eine grüne Stadtentwicklungssenatorin braucht“, erklärte Grote.

Seit August haben die Aktivisten die sanierungsbedürftigen Häuser in Beschlag genommen und Mini-Museen, Cafés, Ateliers und Werkräume eingerichtet. Prominente Hamburger wie Fatih Akin oder der Maler Daniel Richter machen sich für die Initiative stark Hier weht noch der alternative Geist durch die Gassen, der aus der Hafenstraße und dem Karoviertel längst wegsaniert wurde. Ein Wandspruch von Erich Fromm zum „unmenschlichen“ Wirtschaftssystem auf einer metergroßen Plakatwand wirkt wie ein Motto der Künstler.

Kapitalismuskritik findet sich in Parolen („Ikea vermöbeln“) oder in Form eines Grabmales für denselben, vor dem, wie in jüdischer Tradition, Steine aufgetürmt sind. Für jeden Besuch wird ein neuer abgelegt.

Der Unterschied zu den revolutionären Ahnen der Hafenstraße besteht in erster Linie darin, dass die Besetzer nicht gegen den Staat kämpfen wollen, sondern für ihr Konzept. Und dass die Steine im Pflaster oder vor dem Grab bleiben.

Trotz der eher resignativ stimmenden Nachrichten bleiben die Besetzer nämlich friedlich. Vergleiche zur Hafenstraße findet Marion Walter „nur aus historischen Gründe“ interessant. „Wir leben im Jahr 2009 und nicht 1984“, sagt sie. „Ich persönlich würde mich lieber ausziehen, als einen Knüppel in die Hand zu nehmen und einen Helm aufzusetzen.“

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Auch Andreas Stark setzt ganz auf „kreative Protestformen“. Die Besetzer „werden ihre Anliegen auf allen Ebenen weiter transportieren“, sagt er nicht ohne Kampfesmut. „Wir machen Kunst, keinen Krawall“, sagt der 46-jährige Restaurator mit dem markanten Dreispitzhut, der bei der Besetzung „von Anfang an dabei war“.

Wie es denn konkret weitergehen soll, wussten die Künstler gestern auch nicht. Einen Umzug, wie von der Kulturbehörde ins Spiel gebracht, kann sich Walter nicht vorstellen. „Wir sind dem Ort sehr verbunden und wollen ihn für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Warum sollten wir woanders hin?“

Eine Frage, die die Gängeviertel-Fans den Chefs von Hanzevast auch schon gestellt haben. „Wir haben schon mehrere Briefe nach Hilversum geschickt, auch auf Holländisch“, sagt Marion Walter. „Aber eine Antwort haben wir nie bekommen.“

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