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Vermischtes (Print WAMS)

Arbeiten erlaubt, wohnen verboten

Am Montag jährt sich die Besetzung des Gängeviertels zum zweiten Mal. Die hartnäckigen Künstler haben 440 weitere leere Immobilien im Blick

Glaubt man einer der zahlreichen Legenden, die sich mittlerweile um die Besetzung des Gängeviertels ranken, hätten die späten Augusttage vor zwei Jahren auch ganz anders verlaufen können. Zwar trafen sich einige Künstler schon Monate zuvor regelmäßig im kalten Keller eines der historischen Häuser am Valentinskamp. Erste Ideen kamen auf. Wie wäre es denn, wenn man einfach mal die leer stehenden Räume als sein (temporäres) Eigentum betrachten würde?

Doch als im Sommer ein Wochenende voller Ausstellungen, Musik und Party auf den Freiflächen zwischen den Häusern zu Ende ging, entwickelte sich die eigentliche Besetzung beinahe zögerlich: Viele der Gäste blieben einfach da. Und es passierte - nichts. Keine Polizei, keine Räumung. Also blieb man über Nacht. Es kamen Neugierige und Unterstützer, und mancher Politiker erkannte schnell, dass Solidarität mit den Besetzern der eigenen Imagepflege dient. Kaum jemand ahnte jedoch, dass sich die Aufmerksamkeit Deutschlands und mitunter gar Europas in den kommenden Wochen auf das Gängeviertel richten sollte.

Der schwarz-grüne Senat gab dem Druck schließlich nach und kaufte die baufälligen Häuser vom niederländischen Investor Hanzevast zurück. Es verging kaum eine Woche ohne Neuigkeiten. Aus der zögerlichen Besetzung wurde eine Bewegung. Welchen Einfluss die zeitgleiche Gründung des Netzwerkes "Recht auf Stadt" auf die künftige Stadtentwicklung hat, ist noch heute kaum zu ermessen.

Nach dem ersten halben Besetzungsjahr wurde es ruhiger. "Wir haben die Zeit genutzt, um inhaltlich zu arbeiten", sagt Architekt Heiko Donsbach vom Vereinsvorstand. "Wir sind viel gereist, mussten auf vielen Kongressen in Europa von unseren Erfahrungen berichten." Zudem reparierten die Künstler mithilfe der Stadt Bauschäden - zahlreiche Notsicherungen standen an, um zumindest einzelne Räume als Ateliers nutzen zu können. Und nicht zuletzt mussten die Künstler Geld verdienen. "Viele von uns kümmerten sich um ihre Jobs", sagt Christine Ebeling vom Vorstand. Während der ersten Besetzungsmonate hatte man meist vom Ersparten gelebt.

Den Verhandlungen zwischen Stadt und Verein verschafften diese leisen Monate Ruhe. Doch noch immer ist nicht klar, wie die Eigentumsverhältnisse geregelt werden. Während die Künstler eine genossenschaftliche Selbstverwaltung fordern, beharrt die Stadt nach Informationen der "Welt am Sonntag" darauf, Inhaberin zu bleiben - und somit die Gestaltungshoheit zu behalten.

Ein Besuch des Gängeviertels in diesen Tagen macht deutlich: Mittlerweile ist aus der chaotischen Improvisation vor zwei Jahren eine geordnete Improvisation geworden. Klare Strukturen sorgen für eine funktionierende Aufgabenverteilung, man kennt und hilft sich. Und man hat sich - zumindest vorübergehend - arrangiert mit kalten kahlen Wänden und durchgesessenen Sofas. Es gelten einfache Regeln: Arbeiten ist erlaubt, Wohnen nicht. Nach Angaben des Vereins halten sich alle daran. Doch nach Abschluss der dringend nötigen Sanierung soll das Gängeviertel allem Platz bieten: Wohnungen, Gewerberäume und Ateliers sollen entstehen.

In der kommenden Woche feiern die Kreativen das zweite Besetzungsjubiläum. Da der Stichtag auf Montag fällt, findet die Party am darauf folgenden Wochenende statt. Von Freitag bis Sonntag erwartet die Besucher ein buntes Programm aus Ausstellungen, Lesungen, Musik, Diskussionen und Kinderspielen. Und quasi als verspätetes Geburtstagsgeschenk ist für das kommende Jahr eine umfassende Publikation geplant - samt allen Legenden.

Die Gängeviertel-Besetzung zeigt nach Ansicht der Kreativen beispielhaft, welches Potenzial leer stehende Häuser bieten: Im "Leerstandsmelder" im Internet sammeln sie Informationen über freie Wohn- oder Gewerbeimmobilien; schon 440 Objekte kamen zusammen.

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