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Gespaltene Szene. Viele Künstler weigerten sich, bei „Based in Berlin“ auszustellen. Die Irin Mariechen Danz gehörte nicht dazu – hier ihre Skulptur „Organ Mapping“.

© AFP

Kunst und Stadt: Nur zur Dekoration

Mit Projekten wie „Based in Berlin“ benutzt die Politik Künstler zur Aufwertung der Stadt. Dabei hätten diese viel mehr beizutragen - nämlich Expertise darin, mit urbanen Veränderungen umzugehen.

Im New Yorker Institut für Architektur und Stadtforschung zeigte Gordon Matta-Clark 1976 seine Fotoserie „Window Blow Outs“: demolierte Fenster von Häusern in der Bronx, die Objekte von Immobilienspekulation geworden waren. In einer Nacht schlich der Künstler mit einem Luftgewehr in den Ausstellungsraum und schoss auch hier die Scheiben heraus. Eine Kampfansage an eine Stadtplanung, die sich am Reißbrett orientiert statt am Individuum. Und ein durchschlagendes Beispiel für einen Kunstanspruch, der über den zugestandenen Rahmen hinausgeht.

Mit seinem Aufschwung zur Kohlenmine des globalen Kunstbetriebs ist Berlin zuletzt oft mit dem New York der Sechziger verglichen worden. Nach den Mietsteigerungen und dem Rückgang frei verhandelbarer Räume zu urteilen, sind allerdings bereits die Siebziger im Gange.

Ein gewichtiger Unterschied zu damals ist, dass die Politik heute eine grundsätzlich andere Wertschätzung für Kunst zeigt. Kreative, aufgeschlossene Talente sind nach den Thesen des Soziologen Richard Florida die Kernressource für die Metropolen der Zukunft. In den Senatskanzleien von Hamburg und Berlin hat man diese Lehre womöglich besser verstanden als in der von Florida so genannten „kreativen Klasse“ selbst. Und so ist auch die Kunst zur Spekulationsmasse im Standortwettbewerb geworden.

Der ursprüngliche Plan für die Ausstellung „Based in Berlin“ brachte dieses Kunstverständnis ins Bild: Ein Zelt- und Containerdorf auf den vakanten Bauflächen am Hauptbahnhof als anregende Kulisse für Investorengespräche, bestückt von den Billiglohnkräften der Kunst. Die Zelte wären hinterher abgebaut worden, die Container umgenutzt, die Künstler weitergeschickt – die Investoren aber sollten bleiben. Strukturell betrachtet ist das so, als ob man den Strick, an dem man sich aufhängt, selbst gestalten darf.

Aus diesem und anderen guten Gründen haben viele Künstler sich der Ausstellung verweigert: etwa der Installationskünstler Adrian Lohmüller und der Projektraum „General Public“. Eine bestimmte politisch denkende Szene, die nun wirklich ein Alleinstellungsmerkmal der Stadt ist, kommt in der „Leistungsschau“ gar nicht vor. Den Aktionismus eines Gordon Matta-Clark hat dafür die Kulturverwaltung an den Tag gelegt, indem sie ein Team von fünf Jungkuratoren, autorisiert von drei Starkuratoren und ausgestattet mit Talentscouts, losschickte, um einen Keil in die Berliner Kunstszene zu treiben. „Based“ folgt dem Prinzip der Castingshow, ohne Publikumsbeteiligung.

Die Ausstellung im Atelierhaus im Monbijoupark spielt dem landläufigen Bild von Kunst als lustigem, aber letztlich harmlosem Abenteuerspielplatz zu, auf dem man sich austoben darf, bevor man sich wieder dem Ernst der Sachzwänge zuwendet. So verkörpert „Based in Berlin“ ein scheinheiliges Verständnis von Ausdrucksfreiheit, wie es beispielhaft ist für demokratische Gesellschaften in der Geiselhaft des Marktes: Jeder hat die Chance auf einen Sendeplatz, aber das Eigentliche steht nicht zur Verhandlung.

Warum wurde die Diskussion der eigenen Bedingungen ins Abendprogramm verdrängt? Warum wurden die zur Verfügung gestellten 1,6 Millionen Euro nicht als Chance gesehen, die massiven Transformationen zu verhandeln, die Berlin erfährt? Warum wieder das abgeschmackte Modell des Künstlers als Stadtmöblierer?

Destruktive Akte stärken Bindekräfte, das war schon vor Jahren so, als die Politik die Chance vertat, die Architektur des Palasts der Republik in ein soziokulturelles Zentrum von internationaler Symbolkraft zu verwandeln. Die Kunstszene machte damals das Potenzial mit der Ausstellung „White Cube Berlin“ anschaulich, die auch „Based in Berlin“ als Referenz diente. Die Planwirtschaft um „Based“ hat nun wiederum dazu geführt, dass die Kunstszene ihre kritischen Energien konzentriert: Aus den Diskussionen der Initiative „Haben und Brauchen“ haben sich Arbeitsgruppen gebildet, man ist mit dem Senat im Gespräch über einen Entwicklungsplan für die Berliner Kunst, der nach der Wahl im September erarbeitet werden soll. Dabei wird sicher das eine Prozent der Berliner Kulturausgaben zur Debatte stehen, das in die Bildende Kunst fließt. Zunächst wird es aber darum gehen, der Kulturverwaltung zu erklären, wie Künstler arbeiten. Dort scheint man bislang zu glauben, Künstler müssten vor allem „marktfähig“ gemacht werden, wie Kuratorin Ellen Blumenstein berichtet.

Je nachdem, von wo man schaut, erscheint die Kunst gar nicht als die narrenfreie Verrückte, als die sie gern gefeiert und bagatellisiert wird; dann scheint eher der politische Apparat in seiner vorgeblichen Rationalität verrückt. Hilfe zum Perspektivwechsel bieten etwa Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll.

Das Berliner Künstlerduo hatte zuletzt eine Residenz auf der Hamburger Elbinsel Veddel, die mit ihrem Migrantenanteil von 90 Prozent Objekt kommunaler Entwicklungspläne ist. Die Künstler dachten die Verdrängungspolitik, in deren Namen sie geladen waren, weiter und schlugen vor, die Anwohner auf den benachbarten Zollhafen umzusiedeln. Dort sollten die Grundstücke vergeben werden wie einst im Wilden Westen, im Wettlauf um die Wunschparzelle, in der sich dann jeder ein Haus nach eigenen Vorstellungen bauen dürfte.

Dellbrügge & de Moll sind Meister der Parodie. Sie nehmen die Versprechen von Politik und Stadtplanung beim Wort, bieten pragmatisch neue Möglichkeiten auf – und stellen so die Verhältnisse bloß, die deren Verwirklichung im Weg stehen. Der Hamburger Kultursenat hütete sich, die Aktion „Landrun“ mit Flugblättern, Großplakaten und Annoncen zu bewerben. Auch hier hatte die Kunst ihren Rahmen übertreten. Gerade haben sich Dellbrügge & de Moll „Haben und Brauchen“ angeschlossen und wollen den Dialog mit der Berliner Politik mitmoderieren.

Dem könnte kaum etwas besseres passieren, als dass Künstler sich einmischen, kommt ihnen doch im Zuge urbaner Umgestaltungen eine Dreierrolle zu: als Pioniere, Opfer und kritische Analyste. Wieso wird diese Kompetenz nicht besser genutzt? Nicht nur, um die Kunst zu ’entwickeln’ und ihr dringend nötige Räume zu finanzieren; sondern auch, um die Stadt mitzuentwickeln und über den Raum zu sprechen, den alle teilen. Das würde bedeuten, die gesamte soziale Wirklichkeit im Sinne Beuys’ als Kunstwerk zu sehen, für das jeder mitverantwortlich ist – und das andere Ansätze verdient hat als die Logik von Investitionsplänen.

Seit Leonardo da Vinci Kirchen, Ställe und das Kanalsystem von Navigli entwarf, gab es immer wieder Künstler, die die Stadt neu dachten, von Constant Nieuwenhuys situationistischer Utopie „New Babylon“ zur autonomen Siedlung des Künstlers Joep van Lieshout im Rotterdamer Hafen, die von den Behörden geschlossen wurde. In der einstigen Motorstadt Detroit dagegen verliert die Politik ihre Gestaltungsmacht an die Natur. Bürger bestellen im Zentrum Gemüsefelder. Hier kaufte der Künstler Ingo Vetter Baugrund zum Spottpreis, errichtete ohne Genehmigung ein Sägewerk und eine Baumplantage und schuf so einen eigenen Zyklus, der noch bestehen soll, wenn nebenan vielleicht einst neue Bürotürme wachsen.

Damit vergleichbar ist der Sonderraum, den die Hamburger Kunstszene mit dem Gängeviertel verteidigt hat. Und das Gelände der früheren Rotaprint-Fabrik in Wedding, wo von Künstlern nach langem Ringen mit dem Senat eine Mischung aus Ateliers, Galerien, Handwerksbetrieben und sozialen Projekten geschaffen wurde, die Modell steht für eine offene, gleichberechtigt aushandelbare Stadtplanung. Ein gesunder sozialer Organismus ist auf ein vielfältiges Nebeneinander solcher Reflexionsräume angewiesen.

Ingo Vetter, für dessen Detroit-Projekt sich inzwischen auch Politiker interessieren, wurde in Schweden und den Niederlanden schon mehrfach in Stadtplanungen eingebunden. Pionierarbeit hat hier die Stiftung für Kunst und öffentlichen Raum „Skor“ geleistet, die jetzt vom Kulturkahlschlag der niederländischen Regierung bedroht ist. „Die Idee, dass Künstler konkret in Planungen mitwirken, scheint weitgehend verloren“, stellt Vetter fest. Stattdessen werden meist Architekten gefragt, politische Vorentscheidungen durch starke Bilder zu legitimieren. Aber Architekten, sagt Ingo Vetter, verkaufen Problemlösungen. Künstler problematisieren erst einmal die Fragen.

Künstler in die Stadtentwicklung einzubinden, setzt Geduld voraus. Es verlangt Offenheit für Überraschungen. Es kann aber auch dazu führen, dass man sich Ausgaben wie zum Beispiel acht Kuratorenhonorare sparen kann. Vetter erzählt, wie der Tessiner Architekt Luigi Snozzi einmal die Entwicklung eines ganzen Ortes beeinflusste, indem er schlicht das Planungsrecht auf vier Regeln reduzierte. Das ist der ganzheitliche Ansatz unabhängigen künstlerischen Denkens. Es dürfte sich für alle Seiten lohnen, Künstler nicht erst dann zu fragen, wenn es Schauplätze zu verteilen gibt.

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