Umsturz einer Kaufmannsstadt

NEUORDNUNG Die neue Kultursenatorin Barbara Kisseler will durch die Kultur die Stadtgesellschaft ins Gespräch bringen. Profitieren soll davon die freie Szene

Barbara Kisseler möchte die Kultur nicht der Logik des Stadtmarketings unterordnen

Interessante Rollenverteilung, die Hamburgs designierter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und seine designierte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) bei ihrem ersten gemeinsamen öffentlichen Auftritt gewählt haben. Während Scholz, 52, mit dem „Zauber des Neuanfangs“ den verträumten Schriftsteller Hermann Hesse zitiert, führt sich Kisseler, 61, mit dem Machtpolitiker Niccolò Machiavelli ein. „Stets gilt es zu bedenken (...), dass nichts schwieriger ist, als eine Neuordnung der Dinge“, zitiert Kisseler. Wobei die Betonung auf „Neuordnung“ liegt. Und nicht auf „schwierig“.

Grundlage dieser Neuordnung ist erstmal eine Erhöhung des Kulturetats. Die hat Scholz in Aussicht gestellt und damit den Job im Hamburger Rathaus attraktiv gemacht. Weder Scholz noch Kisseler sagen, wie hoch die Erhöhung ausfallen soll. Darüber werde man erst im Sommer reden, wenn es um den nächsten Haushalt gehe.

Kisseler will den Kulturinstitionen finanzielle Planungssicherheit bieten. Außerdem will sie der freien Szene mehr Aufmerksamkeit widmen, weil aus dieser Szene oft neue Impulse kämen – Kisseler kennt diesen Zusammenhang vor allem aus Berlin, wo sie drei Jahre lang Kulturstaatssekretärin und vier Jahre lang Chefin der Senatskanzlei war. Drittens möchte Kisseler den Künstler mehr Arbeitsräume zur Verfügung stellen – eine Forderung, die spätestens seit der Debatte um das Gängeviertel und seit der Gründung der Kreativagentur in Hamburg nicht ganz neu ist.

Das alles ist vernünftig und gut, worin aber besteht die Neuordnung? Womöglich in einem Vorgang, der dann doch nichts mit machiavellischer Machtpolitik zu tun hat. Sie frage sich vor allem, sagt Kisseler, wie sie den Dialog zwischen unterschiedlichen Kreisen der Hamburger Stadtgesellschaft produktiv in Gang bekomme. Kisseler möchte die Kultur vor „der repräsentativen Ecke“ bewahren und sie außerdem nicht der Logik des Stadtmarketings unterordnen. Für die auf soziale Abgrenzung und Profit getrimmt Kaufmannsstadt Hamburg eine durchaus umstürzlerischer Idee.

Wenn Barbara Kisseler mit ihrem leichten rheinischen Zungenschlag über diese Dinge redet, überlegt und mit einer gewissen Feierlichkeit, kann man sich gut vorstellen, dass sie die ein oder andere Veränderung hinkriegt. Als studierte Germanistin und Theaterwissenschaftlerin hat sie eine echte Affinität zur Kultur. Sie hat in diversen Kulturverwaltungen in Städten wie Düsseldorf und Berlin gearbeitet und war zehn Jahre lang Abteilungsleiterin im niedersächsischen Kulturministerium.

Nach Hamburg ist Kisseler gekommen, weil sie die Chance sieht, nun noch einmal „eigenverantwortlich zu gestalten“. Der Posten wird wohl ihre letzte berufliche Station sein. Was von Vorteil ist: Karrieristische Überlegungen dürften Kisseler nicht leiten. KLAUS IRLER