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Bedrohte Altbauten in Hamburg: Idyll zwischen Bürowürfeln

Foto: Erik Seemann

Kampf um Hamburger Altbauten Alice am Elbufer

Glaspaläste, so weit die Elbe reicht. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft in Hamburg will nun auch noch eines der letzten historischen Häuserensembles an der Waterkant abreißen - doch gegen die Pläne formiert sich Protest.
Von Rainer Müller

Lewis Carrolls Kinderbuchheldin Alice musste in einen Kaninchenbau fallen, um in eine andere Welt zu gelangen. In Hamburg braucht man nur einer unscheinbaren Treppe den Elbhang hoch zu folgen.

Vis á vis der Glasfronten hypermoderner Bürobauten, die das Hamburger Elbufer mittlerweile fast ausnahmslos verriegeln, versteckt sich ein architektonisches Wunderland vergangener Jahrhunderte: Die Elbtreppen-Häuser, eine verschachtelte Ansammlung aus sechs kleinen efeuumrankten Wohngebäuden, Höfen und Sprossenfenstern. Im größten Hof sitzen die Bewohner beim Schwatz zusammen, die Wäsche hängt zum Trocknen an der Leine.

Draußen futuristische Bürowürfel, drinnen Dorfleben aus der Vergangenheit. Das Elbtreppenhäuser-Ensemble ist eines der letzten historischen Überbleibsel auf dem Weg zwischen Fischmarkt und dem Övelgönner Museumshafen. War das Elbufer hier lange von Fischbuden, Lagerhallen und Autostrich geprägt, hat es in den vergangenen zehn Jahren eine stadtentwicklungspolitisch gewollte Umwandlung erfahren. Heute bestimmen halbleere Neubauten und Systemgastronomie das Bild. Wohl deshalb ist das Kleinod an der Elbtreppe bei Spaziergängern so beliebt: Sie freuen sich, nach all der austauschbaren Investorenarchitektur mal ein Stück vom alten Hamburg zu sehen.

Streit der Gutachter

Bauhistoriker sind ohnehin begeistert vom letzen Rest des im Krieg zerstörten Arbeiterstadtteils Neumühlen. Das Ensemble hat die Kämpfe und den späteren Abriss angrenzender Industriebauten überstanden und existiert in seiner heutigen Form seit 120 Jahren. Hier steht Hamburgs einziges noch erhaltenes Saalhaus - eine ehemals typische Bauform in Arme-Leute-Gegenden. Das Denkmalschutzamt hat das Saalhaus und ein weiteres Gebäude unter Schutz gestellt. Über das Tonnengewölbe im Haus Nr. 5 gehen die Meinungen allerdings auseinander. Ein unabhängiger Gutachter datiert es auf das 17. Jahrhundert, das Amt auf Mitte des 19. Jahrhunderts.

Doch das Idyll ist bedroht. Die Häuser sind dringend sanierungsbedürftig. Die Besitzerin, die stadteigene Wohnungsgesellschaft Saga, will vier der sechs Häuser lieber gleich ganz abreißen. Sie hält den Abriss für unumgänglich. "Eine Sanierung wäre unglaublich unwirtschaftlich", sagt Pressesprecher Mario Spitzmüller. "Außerdem sind die Häuser so standunsicher, dass sie beim nächsten starken Regen abrutschen könnten." Mehrere Gutachten würden dies bestätigen. Anstelle der einsturzgefährdeten Häuser plane man "neue Häuser mit zusätzlichem, zeitgemäßem und bezahlbarem Wohnraum."

Jan Plewka ist kein Denkmalschützer, sondern Schauspieler und Sänger der Gruppe Selig - und fordert: "Die Elbtreppenhäuser müssen unter Denkmalschutz gestellt werden. So einen Ort darf Hamburg nicht verlieren. Für mich ist das der schönste und charmanteste Wohnort, den man sich vorstellen kann." Der Musiker ist Mieter einer der zwölf noch genutzten Wohnungen, die anderen sechs werden trotz großer Nachfrage nicht mehr vermietet.

Derzeit wohnen noch 25 Menschen hier: Musiker, Künstler, Tontechniker, aber auch Lehrer, Studenten, Rentner, Singles, deutsche und türkische Familien. "Wirklich wie in einer großen WG" fühlt sich Plewka.

Gezielte Vernachlässigung eines Denkmals?

"Die Saga hat ihre Gutachter. Wir haben unsere eigenen, und die sagen etwas völlig anderes", sagt Bewohnerin Susanne Gerriets, die seit 1994 in einem der angeblich besonders gefährdeten Häuser wohnt - mit ihrem Mann und zwei kleinen Töchtern. Sie glaubt nicht an die Einsturzgefahr, sondern an "bewusste Irreführung". Der Wohnungsgesellschaft ginge es nur ums Geld.

So haben sich die Bewohner zu einer Mieterinitiative  zusammengeschlossen und kämpfen seit mehr als zehn Jahren um die Rettung der Häuser. "Seit 1996 werden Wohnungen bewusst nicht mehr neu vermietet, Dielen und Wasserrohre rausgerissen, Fenster vernagelt. Innen verschimmelt alles", sagt Gerriets, Sprecherin der Initiative. Die letzte Sanierung datiere auf "Anfang der Achtziger", ergänzt ihr Mann Hans-Peter. Für die politische Opposition in Hamburg ist diese "gezielte Vernachlässigung der eigentliche Skandal", so Mark Classen, baupolitischer Sprecher der SPD-Bezirksfraktion. "Das ist Verarschung, was die mit den Mietern und der Bezirkspolitik treiben."

Grund für die deutliche Wortwahl ist der vom zuständigen Bezirk Altona verabschiedete Bebauungsplan aus dem Jahr 2000, der de facto einen Erhalt des gesamten Ensembles vorsieht. Die Saga sieht dies ganz anders.

Für sie geht es gar nicht mehr um die grundsätzliche Frage der Erhaltung, sondern "nur noch um gestalterische Fragen des Neubaus". Wie hoch die geplanten Neubauten werden sollen, werde "derzeit mit den Architekten abgestimmt", sagt Spitzmüller. Mark Classen wittert den Versuch, "per Befreiung vom Bebauungsplan" die strengen Vorgaben auszuhöhlen, die einen Neubau nur bis zur derzeitigen Gebäudehöhe zulassen, was weniger lukrativ wäre.

"Die Hamburger sind wach geworden"

Mario Spitzmüller sieht den Streit "mittlerweile als regelrechtes Politikum". Tatsächlich hatte sogar der schwarz-grüne Senat in seinem Koalitionsvertrag eigens festgehalten: "Für die Elbtreppe soll eine mieterfreundliche Lösung gefunden werden." Eine dehnbare Formulierung.

Aus Sicht der Mieter gibt es genau zwei mieterfreundliche Lösungsmöglichkeiten: Entweder die Saga saniert die Häuser oder sie verkauft sie an die Mieter. Die planen nämlich eine Mietergenossenschaft zu gründen und die Sanierung selbst zu bezahlen. Die Lawaetz-Stiftung, die unter anderem Wohnprojekte berät und ironischerweise ebenso wie die Saga der Stadt gehört, hat die Machbarkeit gemeinsam mit den Mietern durchgerechnet und einen fertigen Finanzierungsplan vorgelegt.

Nach jahrelangem Hin und Her naht jetzt die Entscheidung. "Wir wollen noch in diesem Jahr Bauantrag stellen", sagt Mario Spitzmüller an. Die Mieterinitiative hält dagegen und startet an diesem Donnerstag ein Bürgerbegehren, sprich: eine Unterschriftensammlung, gegen den Abriss. Kommen genug Stimmen zusammen, will sie einen Bürgerentscheid starten, und der wäre für den Bezirk Altona bindend.

Musiker Jan Plewka ist optimistisch: "Beim Gängeviertel sind die Hamburger wach geworden und haben gemerkt, wie wichtig es ist, historische Orte zu erhalten." Damit spielt er auf die breite Unterstützung in der Bevölkerung für den Erhalt des historischen Gängeviertels an. Vor genau einem Jahr hatte dessen Besetzung begonnen - am Ende sah sich die Stadt gezwungen, es dem Investor wieder abzukaufen.

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