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Hamburg (Print Vermischtes)

Der Senat verliert seinen Instinkt

Chefreporter WELT AM SONNTAG
Die Debatte um das historische Gängeviertel gerät zu einem Lehrstück für politisches Missmanagement.Die Behörden spielen sich offenbar gegenseitig aus - und auf der Gegenseite formiert sich ein Netzwerk des ProtestsNoch eine andere Pose, vielleicht liegend auf dem Baumstamm? Oder lieber sitzend, mit verschränkt ausgestreckten Beinen? Marion Walter lächelt, legt den Kopf schief, schaut versonnen in

Die Debatte um das historische Gängeviertel gerät zu einem Lehrstück für politisches Missmanagement. Die Behörden spielen sich offenbar gegenseitig aus - und auf der Gegenseite formiert sich ein Netzwerk des Protests

Noch eine andere Pose, vielleicht liegend auf dem Baumstamm? Oder lieber sitzend, mit verschränkt ausgestreckten Beinen? Marion Walter lächelt, legt den Kopf schief, schaut versonnen ins Nichts. Ganz so, wie der Fotograf es gerne hätte. "Ich stehe nicht gerne vor der Kamera", kokettiert die 33-Jährige und setzt einen Fuß auf den Kirschbaumstamm, den sie als Skulptur ausstellen möchte. "Aber mittlerweile bin ich es ja gewohnt."

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Reporter einen Satz im Block haben möchte oder ein Kameramann ein Bild aus dem besetzten Gängeviertel. Und die etwa 200 Künstler, die das Quartier im August in Beschlag genommen haben, protestieren, parlieren und posieren. Gewähren Einblick in die provisorisch eingerichteten Ateliers, richten ein Café ein, stellen Kunstwerke aus, hängen Plakate auf, streichen Wände an. So kreativ, so friedlich bleibt der Protest der Szene, dass selbst der Senat nicht umhin kann, das alternative Völkchen für die Hausbesetzung zu loben: "Dankbar" sei sie, sagte Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) am vergangenen Dienstag, dass die Künstler auf "dieses dringende Problem hingewiesen haben".

Der Schmusekurs der obersten Museums- und Theaterchefin Hamburgs verwirrt Beobachter. Denn in der Finanzbehörde am Gänsemarkt ist von einem "dringenden Problem" gar keine Rede. Für Finanzsenator Michael Freytag (CDU) ist die Sache ganz einfach: Er hat das Gängeviertel bereits vor einem Jahr an den niederländischen Investor Hanzevast verkauft, der dort Neubauten errichten möchte, wenn auch hier und da eine historische Fassade stehen bleiben mag. Äußern möchte sich Freytag aber nicht dazu, die Kommunikation laufe über die Kulturbehörde, lässt er seinen Sprecher sagen. Während die Kulturbehörde also Solidaritätsbekundungen für die Initiative verschickt, verhandeln Freytags Beamten schon über die Übergabe des Geländes. Dazwischen wirft der Bezirksamtsleiter von Mitte, Markus Schreiber, die Idee von einem "Runden Tisch" in den Ring. Das wiederum hält Welck für überflüssig.

Bunter als der Protest in der Neustadt scheint nur die Meinungsvielfalt in den Hamburger Behörden zu sein. Denn laut Hanzevast hat die Stadt am vergangenen Mittwoch das letzte Mal zugesichert, die ersten beiden Häuser am kommenden Montag "frei" übergeben zu wollen. Es ist das erste Mal, dass die Investoren aus Hilversum sich öffentlich äußern. Anscheinend hatten sie genug vom Chaos, das im Senat seit der Besetzung ausgebrochen ist. "Hanzevast hat der Stadt eine Partnerschaft angeboten", teilen die Investoren mit. "Dieser Vorschlag wurde nicht aufgegriffen." Auch ein Termin, bei dem der Rückkauf des nunmehr als erhaltenswert erkannten Geländes erwogen wurde, endete nach Hanzevasts Angaben "ohne ein konkretes Angebot der Stadt".

Das Durcheinander in den Amtsstuben und Senatorenzimmern zeigt, dass Schwarz-Grün von der Entwicklung völlig überrascht wurde - und viele angesichts der Besetzung den Plan, das einzigartige Gängeviertel an den meistbietenden Abrissunternehmer zu verkaufen, für verzichtbar hielten.

Verträge scheinen für den Beust-Senat schnell an Wert zu verlieren, wenn sich die Umstände ändern. Das war schon beim Kraftwerksbau in Moorburg so, den Ole von Beust im November 2007 genehmigte. Vier Monate später ließ er die Grünen bei dem Versuch gewähren, den verhassten Meiler über ge-nehmigungsrechtliche Tricks das Wasser abzugraben.

In der HSH Nordbank-Krise lassen sich weder Beust noch Freytag dazu hinreißen, das Verhalten des von ihnen gelobten Vorstandsvorsitzenden Dirk Jens Nonnenmacher zu kommentieren. Das sei "Sache der Bank", heißt es, wenn wieder ein prekäres Dokument zu einem verlustreichen Geschäft auftaucht, das Nonnenmachers Unterschrift trägt. Dabei hat sich Hamburg mit Hunderten Millionen Euro im kriselnden Institut eingekauft, um es vor dem sicheren Untergang zu bewahren. Doch eine öffentliche Erklärung gab es zuletzt im Juli, als der Bürgermeister den Nonnenmacher-Bonus in Höhe von 2,9 Millionen Euro erklären musste.

Während die Senatoren sich bei unbequemen Fragen wegducken oder auf andere Behörden verweisen, knüpfen Protestbewegungen auf der anderen Seite an Netzwerken. Wer die neue Front gegen städtische Bauprojekte und Investorenideen erleben will, sollte ein Treffen des Netzwerkes "Recht auf Stadt" besuchen. Etwa 20 verschiedene Gruppen kommen monatlich zusammen, um Aktionen zu planen und Kritik an sogenannten Gentrifizierungs-Prozessen in innerstädtischen Stadtteilen zu formulieren. Der Kreis der Unterstützer soll noch weitaus größer sein. Die Initiativen kämpfen etwa gegen die Ikea-Ansiedlung in Altona, gegen die Sanierung des Bernhard-Nocht-Quartiers auf St. Pauli, Mietsteigerungen im Schanzenviertel, die Vertreibung von alten Läden in St. Georg oder eben gegen Neubaupläne im Gängeviertel. "An vielen Ecken der Stadt kocht der Protest seit Längerem", sagt Tina Fritsche vom Vorstand des Centro Sociale, wo die Treffen von "Recht auf Stadt" stattfinden. "Immer mehr Grün-flächen verschwinden, die Mieten steigen und viele Stadtteile werden baulich verdichtet."

Marion Walter, der protestierende Medienprofi, drückt es so aus: "Wir möchten das Gängeviertel als öffentlichen Raum für alle erhalten." Umziehen, wie es Welck jüngst vorgeschlagen hatte, wollen die Künstler jedenfalls nicht, sagt sie. "Wir hängen am Gängeviertel." Und der Senat? Er irrlichtert nicht nur in dieser Frage weiter.

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